Es spricht nichts dagegen, Zuschauerinnen und Zuschauer im Advent in besinnliche Stimmung zu versetzen. Das ZDF übertreibt es in diesem Jahr aber mit seinem Weihnachtsangebot. Und so werden viele am Ende doch wieder bei Familie Hoppenstedt landen.
Wenn am Weihnachtsabend die schwäbelnden Möchtegern-Schwiegereltern in Hamburg vor der Tür stehen, weil sie die E-Mail ihres Sohns nicht gelesen haben und nicht wissen, dass Philipp nach einem Streit auf der Insel Gomera weilt. Wenn Liane (Maria Ehrich) also nicht nur den unerwarteten Besuchern erklären muss, wer der fremde Mann auf ihrem Sofa ist, sondern auch noch Essen besorgen, obwohl der Kühlschrank leer steht. Wenn sie überdies fast vergisst, Geschenke unterm Weihnachtsbaum des Nachbarn Hinnerk (der nämlich glaubt, dass seine Töchter noch an den Weihnachtsmann glauben) auszulegen – dann könnte das der Auftakt einer turbulenten Weihnachtskomödie sein.
Allerdings ist da schon zur Hälfte vorbei, und es geht bloß weiter mit einer zähflüssigen Abfolge von jeweils ähnlich dramatischen Höhepünktchen. Der “Herzkino”-Film leitet linear am 1. Advent (1.12., 20.15 Uhr; Regie: Sophie Averkamp, Buch: Silke Zertz) die neue Weihnachtsfilme-Saison des ZDF ein. In der Mediathek allerdings ist “die Schatztruhe neuer und bereits bekannter Fiction-Highlights zu Weihnachten 2024” bereits seit Mitte November “reichlich gefüllt”, teilte das ZDF mit Hinweis auch auf allerhand Wiederholungen auf ZDF-Neo und 3sat mit.
Potenzial besitzt “Stille Nacht, raue Nacht” durchaus. Zum Beispiel redet Liane als Klimaforscherin oft übers Klima, nicht zur Freude ihrer Umgebung, in der alle mit Flugreisen und Geländewagen zugange sind. Und das Weihnachtswetter bringt statt Schnee Starkregen. Allerdings verpufft dieses Potenzial, weil es, außer um die Frage, ob Philipp und Liane Kinder wollen, auch noch um archaische “Raunacht”-Vorhersagen sowie um die ganz anders gelagerten Weisheiten des spirituell bewegten Mani (“Alles kommt zu Dir zurück”, “Alles erzeugt Resonanz”) geht. Was sich nicht völlig ignorieren lässt – schließlich ist Mani der Mann auf Lianes Sofa.
Ein Wunschzettel und die Tragik, die Hinnerk bewegte, selbst die wenigen hundert Meter bis zur Kirche im SUV zu fahren, spielen auch noch eine Rolle und auch wenn die unfreiwillige Weihnachts-Community schließlich gemeinsam das Titellied singen, ist noch keine Versöhnung erreicht. Sondern erst, wenn alle in Hinnerks SUV das englisch-spanische “Feliz Navidad” anstimmen, bevor dann wieder Pianomusik aus dem Off übernimmt. Es braucht schon Ablenkung jenseits des Bildschirms, um sich bei dem hibbeligen 90-Minüter nicht zu langweilen.
Die zweite “Herzkino”-Neuproduktion (linear am 8.12. um 20.15 Uhr; Regie & Buch: Alex Schmidt) breitet von Anfang an eine Patchwork-Großfamilien-Kulisse aus. Beziehungsweise beginnt sie damit, dass Laura (Henriette Richter-Röhl) vor einer nächtlichen Weihnachtsmarkt-Kulisse “Ich hasse Weihnachten” ausruft und prompt die Rückblende einsetzt.
Im rheinisch-bergischen Heimatstädtchen hört ihre Mutter Laura zwar nicht zu, will sie aber verkuppeln und lud daher auch ihren Ex-Freund ein. Ihre Schwester Lizzi hat nur Äußerlichkeiten im Kopf, will sie ebenfalls verkuppeln, aber mit jemand anderem. Und Laura bewegt zusehends eine Art Kindheits-Trauma, das mit einem Kurzschluss zusammenhängt, der sie einst zur “Lachnummer der ganzen Schule” machte.
Hatte wirklich sie ihn ausgelöst, oder aber der Mitschüler, der auch ins alte Heimatstädtchen anreiste und bald als drittes Love-interest die Handlung bereichert? Dazu kommen noch übersinnliche, womöglich von einem alten Wunschzettel ausgelöste Weihnachtswunder, ein rätselhafter Einbruch und dann ist auch noch Lauras Oma weg. Diese Oma (Marie Anne Fliegel) hat die beste Rolle, weil sie von wachen Blicken abgesehen fast unbewegt dasitzt und nicht mit wenigen Dialogen Interesse für ihren klischeehaften Part generieren muss.
Die allseitige Versöhnung mit der schönen Botschaft, dass man sich öfter mal Wahrheiten sagen (und zuhören) sollte, kommt dann durch ein angeschickertes Selfievideo zustande. Das sollte eigentlich niemand sehen, weshalb es natürlich alle tun. Hier laufen also noch mehr Handlungsfäden rund um viel zu blass bleibendes Personal zusammen. Mehr noch als in “Stille Nacht, raue Nacht” wird zum Verkleistern deshalb zwischendurch jede Menge englischsprachige “Angels-are-Singing”/”Let-it-snow”/ “Santa-Clause-is coming …”-Weihnachtspopmusik, wie sie auf Weihnachtsmärkten wegen der hohen GEMA-Gebühren nurmehr selten erklingt, kurz eingespielt.
Der nächste ZDF-Weihnachtsfernsehfilm heißt dann etwas unweihnachtlicher (linear am 16.12., Regie: Jan Haering, Buch: Isabelle Caps-Kuhn, Michael Bohnenstingl). Doch zu früh gefreut, er beginnt damit, dass Carla (Paula Kalenberg) einen Weihnachtsmann küsst. Der ist ihr Freund, leidet aber unter Carlas Launen.
Die beiden arbeiten für einen Berliner Fernsehsender und müssen ausgerechnet zu Heiligabend die von einer “riesigen Fangemeinde” gespannt erwartete Buchpremieren-Lesung der Groschenromanautorin Marlene von Osterburken (Leslie Malton) als Livesendung produzieren. Wer sich darauf einlassen möchte, bekommt gratis dazu, dass Carla Marlenes Tochter ist – was niemand wissen soll -, dass die beiden aus alten Weihnachtsgründen zerstritten sind und dass Carla – kleines Weihnachtswunder – in die eskapistische, freilich hoch dramatische Handlung der Heftroman-Serie “Die Alpenbäckerin” versetzt wird, die ihre Mutter unter höchstem Zeitdruck auf der Schreibmaschine zu Ende schreiben muss.
Sogar noch als ein lebenskluger Taxifahrer, der sich zugleich als vielversprechendes Love-interest für die alleinstehende Autorin-Mutter erweist, sie in die Buchhandlung kutschiert, in der Carlas Freund und eigentlich ja auch Carla die Lesungs-Liveübertragung wuppen sollen. All das führt, dank Tiroler Filmförderung für den Schauplatz der Heftroman-Handlung, immerhin zu schönen Bildern im Schnee.
Auch hier schimmern durchaus vielversprechende Ideen durch, seien es die unterschiedlichen Tempi auf den unterschiedlichen Erzählebenen, oder die Frage, ob eine Autorin ihre Hauptfigur kontrolliert oder aber die in diese Rolle gezauberte widerspenstige Tochter, die die Autorin privat gut kennt, den Gang der Handlung in der Handlung selbst zu lenken versteht. Aber auch hier versanden solche Ideen in aneinandergeklatschten Turbulenzen, weil der Film alles auf einmal sein möchte: lustig, aber ohne Sarkasmus, romantisch, aber ohne dass man sich drüber lustig machen kann.
Natürlich spricht nichts dagegen, Publikum ohne viel Tiefgang in besinnliche Stimmung zu versetzen. Aber 2024 übersah das ZDF, was seine Presseabteilung ins Bild der reichlich gefüllten Schatztruhe kleidet: Wenn alle Weihnachtsfilme auf einmal abrufbar sind und niemand mehr warten muss, bis das nächste Türchen geöffnet oder die nächste Kerze angezündet werden kann, wird Überfluss umso besser sichtbar.
Und zu viel vom Gleichen entwertet sich selbst. Zumal der gewaltige Berg aus Weihnachtsfilmen der Vorjahre (im ZDF-Angebot zum Beispiel: “Beste Bescherung” von 2013, “Eine etwas andere Weihnachtsgeschichte” von 2021, “Zwei Weihnachtsmänner sind einer zu viel” von 2023) ja noch dazukommt und überhaupt das Zweite die televisionäre Aufgabe, Weihnachtsstimmung zu erzeugen, keineswegs alleine schultern muss.
Denn die ARD, deren Fernsehfilmabteilungen weitestgehend dieselben Ideen verfolgen, tut es auch (“Alle Jahre wieder”, “Die schönste Bescherung”, “Engel mit beschränkter Haftung” sowie derzeit zehn “Weihnachtliche Filme für die kalte Jahreszeit” in der Mediathek). Und die privaten Sender tun es. RTL+ offeriert längst nicht nur “Weihnachtliche Begegnung – Liebe ist mehr als ein Zufall” und “Und täglich grüßt das Weihnachtsfest”. Der Mehrteiler “Last X-mas – 24 Tage für die Liebe” von 2022 zeigt nochmals die gute Schauspielerin Paula Kalenberg, die sich über “Zitronenherzen” auch gewundert haben dürfte. Joyn bietet in der Sektion “Vorfreude aufs Fest” sage und schreib 83 Filme (“Ein Kronprinz zu Weihnachten”, “Ein perfektes Weihnachtsmatch” ..), und Marktführer Netflix diese Saison neun Neuproduktionen (“Meet Me Next Christmas” …).
Da wäre weniger mehr gewesen. Also ein paar mehr echte Charaktere und etwas weniger dramatisches Lametta. Ja, vielleicht nur eine oder zwei, dafür besser durchdachte und sorgfältiger in Szene gesetzte Weihnachts-Produktionen. Solche sind es ja, die sich auf Dauer durchsetzen, wie alle Jahre wieder der wohl beste deutsche Weihnachts-Fernsehfilm beweist: Loriots mit vergleichsweise sehr schlichten Mitteln 1978 entstandenes “Weihnachten bei den Hoppenstedts” wird natürlich auch 2024 wieder auf allen ARD-Kanälen laufen.