Wohnen ist ein Grundbedürfnis. Jeder Mensch sollte sich eine Wohnung leisten können. In den Ballungsgebieten und auch in mittelgroßen Städten wird das aber immer mehr zum Problem. Selbst Menschen mit mittlerem Einkommen finden kaum noch bezahlbaren Wohnraum. Der EKD-Text „Bezahlbar wohnen“, der in diesen Tagen erscheint, widmet sich diesem aktuellen Thema aus theologisch-ethischer Perspektive. Er gibt Impulse, wie die Entwicklung des Wohnungsmarktes gerecht, solidarisch und nachhaltig gestaltet werden kann. Karola Kallweit fragte aus aktuellem Anlasse Maria Loheide, Vorständin Sozialpolitik von Diakonie Deutschland, inwiefern das Thema „Wohnen“ auch für Kirche und Diakonie brisant ist und welche Maßnahmen nötig sind.
Frau Loheide, in Berlin wurde gerade der Mietendeckel gekippt. Warum müssen wir über das Thema Mieten sprechen?
Für die Diakonie ist bezahlbarer Wohnraum ein Thema sozialer Gerechtigkeit. Als zivilgesellschaftliche Akteurin treten wir für menschenwürdige Lebens- und Wohnbedingungen, insbesondere für sozial Schwächere ein. Die Finanzspekulation mit Immobilien und die Preisspirale auf dem Wohnungsmarkt, vor allem in urbanen Räumen, müssen unterbrochen werden. Bezahlbarer Wohnraum ist eine Kernaufgabe der Daseinsvorsorge im Sozialstaat. Dies muss in der Politik endlich ankommen – die nächste Regierungskoalition muss sich daran messen lassen.
Welche Bedeutung hat die Thematik für Kirche und Diakonie?
Den steigenden Druck auf dem Wohnungsmarkt erfahren unsere Dienste und Einrichtungen im Kontakt mit den Menschen täglich. Beziehende von Grundsicherung, Alleinerziehende, alte Menschen mit kleinen Renten oder Menschen in krisenhaften Lebenssituationen sind besonders betroffen. Hohe Mieten führen nicht selten zu Überschuldung und Verlust der Wohnung.
Kirche und Diakonie sind in theologischer Perspektive um eine ethische Orientierung bemüht, sehen sich als Anwälte der Schwächsten und in der Gestaltung von lebenswerten Sozialräumen und auch als Wohnraumanbieter verantwortlich. Wohnmöglichkeiten für alte Menschen, Menschen mit Behinderung, Geflüchtete und Wohnungslose zur Verfügung stellen zu können, wird immer schwieriger. Das verhindert auch Inklusion und Teilhabe. Wohnmöglichkeiten „mittendrin“, in der Stadt und im Quartier, wo sozialräumliche Vernetzung möglich ist, werden immer seltener. Die oftmals rein wirtschaftlich geführte Debatte berücksichtigt die Bedarfe nach sozialem und inklusivem Wohnraum viel zu wenig.
Welche wohnungspolitischen Maßnahmen sind aus Sicht der Diakonie nötig?
Menschenwürdig wohnen zu können, ist ein Menschenrecht und gehört zur Existenzsicherung. Es ist ein Skandal, dass dieses Recht in Deutschland keinesfalls für alle gesichert ist. Wir brauchen dringend eine Investitionsoffensive von Bund, Ländern und Kommunen in den sozialen Wohnungsbau. Erforderlich sind Wohnraumförderprogramme, insbesondere für die Versorgung von einkommensschwachen Haushalten. Verbindliche Mietobergrenzen müssen durch bundesweite gesetzliche Regelung möglich werden.
Steuererleichterungen beim Verkauf von Wohnimmobilien sind abzuschaffen, um Spekulationsgeschäfte zu erschweren. Es muss leichter werden, Wohnungen bei Leerstand einer gemeinwohlorientierten Nutzung zuzuführen. Nicht-kommerzielle Träger und die, die sozialen Zielen verpflichtetet sind, sollten besondere Berücksichtigung finden.
Was können Kirche und Diakonie beitragen, um den Wohnungsmarkt zu entlasten?
Kirche und Diakonie besitzen selbst Immobilien und Grundstücke und tragen damit eine Verantwortung für ihren sozialen und nachhaltigen Einsatz. Hier gilt es, Wirtschaftlichkeit, soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit gut zu verbinden. Entscheidend sind transparente und sozialverträgliche Kriterien. Erwirtschaftete Erträge fließen in die Finanzierung diakonischer Zwecke.
Kirche und Diakonie setzen bei Bauvorhaben auf einen guten Mix unterschiedlicher Mieterinnen und Mieter, schaffen Begegnungsräume und engagieren sich für das Gemeinwesen. Und sie setzen auf Modellprojekte mit Vorbildcharakter. Dabei spielen neue Wohnformen wie Mehrgenerationenhäuser oder genossenschaftliche Quartierprojekte, in denen nachbarschaftliche Netzwerke geknüpft werden, eine wichtige Rolle.