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„Wir flicken die größten Löcher“

Mehr Geld, mehr Personal, mehr Plätze: Der Pflegerats-Präsident Franz Wagner über die aktuelle Lage und darüber, was notwendig ist, um die Pflege künftig sicherzustellen.

Der Präsident des Deutschen Pflegerates, Franz Wagner, fordert weitere grundlegende Reformen in der Pflege. „Nachdem die Pflege über ein Jahrzehnt vernachlässigt wurde, sind wir im Reparaturbetrieb und flicken die größten Löcher“, sagte er in einem Interview mit Christoph Arens. Der Deutsche Pflegerat e.V. ist seit 1998 Dachverband der, wie es heißt, „bedeutendsten Berufsverbände des deutschen Pflege- und Hebammenwesens“. Er sieht sich nach eigenen Angaben „vor allem in der Verantwortung dafür, die Profession Pflege zu vertreten und die erforderlichen Rahmenbedingungen für eine optimale Ausübung der Profession zu schaffen“. Als Dachverband ist er auch Ansprechpartner für die Politik. Das Gespräch mit Franz Wagner fand statt im Zusammenhang mit dem „Deutschen Pflegetag“ Mitte März in Berlin. Bei dieser Veranstaltung  nehmen jährlich etwa 8000 Interessierte der Branche die Zukunft der Pflege in den Blick.

Herr Wagner, seit der Bundestagswahl von 2017 ist die Pflege ein zentrales politisches Thema geworden. Das müsste Ihnen als Vertreter der professionell Pflegenden doch sehr gut gefallen?
Es ist auf jeden Fall ein Aufbruch. Und doch reicht das, was jetzt angedacht worden ist, bei Weitem nicht aus. Nachdem die Pflege über ein Jahrzehnt vernachlässigt wurde, sind wir im Reparaturbetrieb und flicken die größten Löcher. Vieles ist aber noch ungeklärt. Beispielsweise hat die Poli-tik eine Reform der Pflegeausbildung beschlossen. Wie die Schulen aber ihre Investitionskosten fi
nanzieren und wer die geforderten Praktika während der akademischen Ausbildung bezahlt, ist weiterhin offen.

Aber es gibt die Konzertierte Aktion Pflege, an der immerhin drei Ministerien und viele Akteure aus dem Pflegebereich beteiligt sind…
Die Konzertierte Aktion war eine Reaktion auf die Krise. Sie ist wichtig, hätte schon weit früher kommen müssen. Was mir aber weiter fehlt, ist eine langfristige Vision für 2030. Was kann und muss sich ein so reiches Land angesichts des wachsenden Anteils alter, vielfach-erkrankter und pflegebedürftiger Menschen leisten? Es müssen Grundsatzentscheidungen fallen – etwa, wie wir die Pflege dauerhaft finanzieren, wie wir konkret mehr professionelle Pflegefachpersonen gewinnen und welchen Anteil an Hochschulausbildung wir wollen.

Apropos Finanzierung: Die Pflegekassen verzeichnen ein Minus, die Beiträge steigen daher ebenso an wie die Eigenbeteiligung der Pflegebedürftigen in den Heimen. Wie muss eine bessere Pflege finanziert werden?
Fest steht, dass wir angesichts der alternden Gesellschaft mehr Geld ins Pflegesystem stecken müssen. Um eine weitere Erhöhung der Beiträge zur Pflegeversicherung und mehr Steuerzuschüsse werden wir wohl nicht herumkommen. Außerdem müssen sich die Krankenkassen angesichts der steigenden Gesundheitskosten für die Pflegebedürftigen stärker beteiligen. Aufpassen müssen wir bei den Eigenanteilen der Pflegeheimbewohner. Schon jetzt können viele ihren Anteil nicht zahlen und sind auf Sozialhilfe angewiesen.

Halten Sie höhere Belastungen der Bürger für durchsetzbar?
Als die Beiträge zur Pflegeversicherung zu Jahresbeginn angehoben wurden, gab es kaum Kritik. Die Menschen wissen, dass eine menschenwürdige Pflege in Zukunft mehr kostet. In fast jeder Familie muss man sich damit auseinandersetzen. Und schließlich kann es jeden von uns mal treffen.

Ist eine komplett aus Steuern finanzierte Pflege wie in Skandinavien oder den Niederlanden Ihrer Meinung nach denkbar?
Ich glaube, dass wir mit unserem Sozialversicherungssystem im Prinzip ganz gut fahren.

Ein wichtiges Element, das die Pflege teurer machen wird, sind höhere Löhne für die Pflegenden. Ist ein Flächentarifvertrag sinnvoll?
Ein solcher Flächentarifvertrag muss und wird kommen. Da hat sich die große Koalition ja auch schon im Koalitionsvertrag festgelegt. Derzeit geht es vor allem um einheitliche Tarifregelungen für die Langzeitpflege. Ich fände es aber sinnvoll, Kranken- und Altenpflege in einem Tarifvertrag zu regeln, weil sie prinzipiell gleiche Verantwortung und ähnliche Aufgaben fordern. Außerdem würde so ein Abwerben vermieden.

Die kirchlichen Anbieter, vor allem Caritas und Diakonie,  haben ja eigene Tarifregelungen. Sollen sie einbezogen werden?
Von der Höhe der Löhne her sehe ich da wenig Probleme und auch eine große Bereitschaft kirchlicher Träger zu einem einheitlichen Tarifgefüge. Allerdings gibt es ja juristische und verfassungsrechtliche Fragen. Die Kirchen wollen auf ihr eigenes Tarifrecht nicht verzichten. Ich denke, da wird es Lösungen geben.

Eine Studie der Evangelischen Bank hat gezeigt, dass eine neue Investitionswelle auf dem Pflegemarkt ansteht. Wie sehen Sie es, wenn private Investoren sich engagieren?
Angesichts des steigenden Bedarfs an Pflegeleistungen ist es durchaus sinnvoll, wenn auch private Träger einsteigen – gerade wenn sie schneller reagieren können als die öffentliche Hand. Aber es ist natürlich sehr problematisch, einen so sensiblen Bereich der Daseinsvorsorge dem freien Spiel der Kräfte zu überlassen. Eine Grenze ist überschritten, wenn damit hohe, manchmal zweistellige Renditeerwartungen verbunden sind. Die Frage ist ja, wie so etwas erwirtschaftet wird. Wenn es auf dem Rücken der Pflegebedürftigen und der Pflegenden geschieht, müsste der Staat einen Riegel vorschieben und Grenzen setzen. Wie das konkret geschehen kann, müssen die Experten entscheiden.