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“Wer in Europa Geld verdienen möchte, muss sich an Gesetze halten”

Mark Zuckerberg stellt bei Facebook und Instagram in den USA das externe Factchecking ein. Eva Flecken, Vorsitzende der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten, über Konsequenzen und Gegenmaßnahmen in der EU.

Kurz vor dem Amtsantritt von Donald Trump hat der Internetkonzern Meta angekündigt, die Moderation von Inhalten auf seinen Plattformen in den USA stark zurückzufahren. So sollen das externe Faktencheck-Programm beendet und Einschränkungen bei bestimmten Themen aufgehoben werden. In Deutschland sind unter anderem die Landesmedienanstalten für die Regulierung im Plattformbereich zuständig. Eva Flecken, Chefin der Landesmedienanstalt Berlin-Brandenburg und Vorsitzende der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten, warnt Meta und Konzernchef Mark Zuckerberg vor ähnlichen Schritten in Europa.

KNA: Frau Flecken, welche Motive vermuten Sie hinter der Entscheidung von Meta-Chef Mark Zuckerberg?

FleckenWelche Intention Herr Zuckerberg damit verfolgt, vermag ich nicht zu sagen. Offengestanden interessiert mich die Absicht auch nicht übermäßig. Spannender scheint mir, was diese Ankündigung, die er bislang für die USA gemacht hat, für uns alle hier in Europa bedeutet.

KNA: Was bedeutet sie denn? Könnte Factchecking auch bei uns einfach abgeschaltet werden?

Flecken Ganz wird er jedenfalls an kritischen externen Instanzen nicht vorbeikommen, wenn er seinen Dienst in Europa weiterhin anbieten möchte. Denn der Digital Services Act (DSA), ein europäisches Gesetz, das seit letztem Jahr gilt, verpflichtet Online-Plattformen wie Meta und Instagram dazu, für sogenannte vertrauenswürdige Hinweisgeber oder auch “Trusted Flagger” Meldesysteme vorzuhalten. Meldungen von solchen Hinweisgebern müssen mit Priorität von den Plattformen bearbeitet werden. Und wer den Status eines “Trusted Flagger” erhält, entscheidet natürlich nicht die Plattform, sondern der “Digital Service Coordinator”, und das ist in Deutschland die Bundesnetzagentur.

KNA: Laut Zuckerberg sollen die Nutzerinnen und Nutzer künftig wie schon heute bei Elon Musks X im gegenseitigen Austausch feststellen, was wahr und was nicht wahr ist. Halten Sie ein solches Empowerment für möglich?

Flecken Im Kampf gegen gezielte und systematische Desinformation gibt es keine “Silver Bullet”, es gibt nicht nur die eine Lösung. Wollte Zuckerberg allein auf diese “Community Notes” setzen, dann hielte ich das für eine schlechte Idee. Denn wenn nur noch die Nutzerinnen und Nutzer aushandeln, was wahr und was falsch ist, wird nicht nur missachtet, dass es nun mal Fakten gibt. Es werden auch nur noch diejenigen gehört, die sich online an diesem “Aushandeln” beteiligen. Vermutlich je öfter und lauter ich poste, umso mehr. Aber was ist denn mit denjenigen, die leisere Töne anschlagen oder sich an diesem Aushandeln nicht beteiligen wollen oder können? Deren Stimme hat dann in der Suche nach “der Wahrheit” keine Bedeutung mehr. Das allein ist alles in allem keine gute Idee, weil dann eine kleinere Gruppe darüber entscheidet, was zumindest online wahr oder falsch ist.

KNA: Die angekündigten Maßnahmen sollen bislang nur die US-Meta-Plattformen betreffen. Das wird Mark Zuckerberg nicht ruhen lassen. Erwarten Sie, dass auch für Instagram und Facebook in Deutschland, in Europa der Faktencheck aufgegeben werden soll?

Flecken Dass Herr Zuckerberg wenig von Fakten und offenbar noch weniger von Regulierung hält, hat er deutlich gemacht. Das Gleichsetzen von Regulierung und Zensur ist verstörend, polarisierend und plump. Er spricht von Regierungen, “die amerikanische Unternehmen angreifen und darauf drängen, zu zensieren”, und blickt dabei nach Europa. Ganz offensichtlich möchte er hier nichts ruhen lassen, sondern drohen. Welch narzisstisches Verständnis von Freiheit hier zugrunde liegt, könnte offener nicht zur Schau gestellt werden. Mit einem demokratisch-rechtsstaatlichen Begriff von Freiheit – lassen Sie uns nicht vergessen, dass die Gesetze demokratisch legitimiert sind, die er als “Zensur” beschimpft – ist das kaum vereinbar. Zensur bedeutet übrigens immer, dass eine Veröffentlichung verhindert wird, dass ein Inhalt also gar nicht erst erscheinen kann. Regulierung setzt aber immer erst dann an, wenn ein Inhalt bereits veröffentlicht wurde. Auf Zensur drängt hier niemand, sondern allein auf Regulierung.

KNA: Sind die deutsche Medienaufsicht und die europäische Medienregulierung für ein derartiges Vorhaben gewappnet?

Flecken: Die Gesetze wie der DSA sind nicht zu früh gekommen, die gute Nachricht ist aber auch: Sie sind jetzt da. Der deutsche Gesetzgeber hat vergleichsweise früh Online-Plattformen regulatorisch adressiert. Sei es über das durchaus umstrittene Netzwerkdurchsetzungsgesetz oder auch mit dem Medienstaatsvertrag. Auch die europäische Ebene war schließlich in den letzten Jahren ausgesprochen ambitioniert und gesetzgeberisch aktiv. Wir haben also verstanden, dass wir es hier längst nicht mehr mit “dumb pipes” zu tun haben, sondern mit Anbietern, die einen massiven Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung haben. Die Effektivität der Rechtsdurchsetzung muss sich nun beweisen.

KNA: Sind mit Blick auf künftige Volten wie die bei Meta präventive Maßnahmen vorgesehen?

Flecken: Der Digital Services Act und auch der deutsche Medienstaatsvertrag sehen eine Reihe präventiver Maßnahmen vor. Da sind die Verpflichtungen zur Transparenz, zu Meldesystemen und zur Risikominimierung. Da gelten das Diskriminierungsverbot und der Schutz der Nutzerinnen und Nutzer, um nur ein paar wenige Beispiele zu nennen. Die Frage ist jetzt, ob die Gesetze die Stresstests dieser Zeit bestehen. Die schönsten Gesetze bringen schließlich nichts, wenn sie nicht durchgesetzt werden. Insbesondere die Europäische Kommission ist nun bei der Durchsetzung des Digital Services Acts gefragt – und die ersten Verfahren laufen ja auch bereits.

KNA: Hat ein Mark Zuckerberg Druckmittel in der Hand, damit der Faktencheck in Deutschland und in Europa hier fällt?

FleckenEr könnte auf die freiwillige Zusammenarbeit mit Faktencheckern, wie sie heute bei Meta auch in Deutschland stattfindet, verzichten. Die im Digital Services Act verankerten Pflichten, zum Beispiel in Hinblick auf die Meldesysteme, kann er jedenfalls dann nicht ignorieren, wenn er in Europa weiterhin die Aufmerksamkeit der Nutzer monetarisieren möchte.

KNA: Sind denn zwei unterschiedliche Meta-Systeme diesseits und jenseits des Atlantiks wirklich denkbar?

Flecken Das muss glücklicherweise nicht unsere Sorge sein. Aus einem ganz einfachen Grund: Wenn Meta in Europa Geld verdienen möchte, dann muss sich Meta an unsere Gesetze halten. Das müssen andere Unternehmen, die deutlich weniger relevant für unser gesellschaftliches Miteinander sind, schließlich auch. Selbst ein Automobilhersteller darf hier nur dann seine Autos verkaufen, wenn er die vorgegebenen Abgaswerte einhält. Warum sollten wir ausgerechnet an Unternehmen, die mit der Aufmerksamkeit, mit der Zeit, mit dem Informationskonsum von uns allen – übrigens besonders bei jungen Zielgruppen – Geld verdienen, geringere Maßstäbe ansetzen?

KNA: Mark Zuckerberg rechtfertigt die Aufgabe des Faktenchecks mit der Wiederherstellung der freien Meinungsäußerung. Können Sie mit diesem Argument etwas anfangen?

Flecken: Lügen und Hass sind keine Meinung, sondern häufig rechtswidrig oder auch strafrechtlich relevante Inhalte. Nachvollziehen kann ich, dass man sich grundsätzlich die Frage stellt, wie solche Fakten-Check-Systeme organisiert werden sollen. Der Eingriff in die Verbreitung von Inhalten ist natürlich hochgradig sensibel. Was mir nur leider bei den bisherigen Äußerungen völlig fehlt, ist jenseits der X-ähnlichen Community Notes eine Idee, wie Meta seiner Verantwortung nachkommen möchte, die mit dem Geldverdienen hierzulande und der enormen Wirkung auf den öffentlichen Diskursraum nun mal einhergeht.

KNA: Fällt der Faktencheck, wird es einem Elon Musk umso leichter fallen, seine faktenbefreiten Ansichten zu verbreiten. Eine ernstzunehmende Befürchtung?

Flecken: Der Versuch, Faktenchecker zurückzudrängen, ist das eine. Was uns auch umtreibt, sind die Ankündigungen Zuckerbergs, seine Community-Guidelines zu verändern. Man wird abwarten müssen, was das genau bedeutet. Es ist aber naheliegend, dass wir mehr hasserfüllte, menschenverachtende und auch strafrechtlich relevante Inhalte sehen werden. Dabei gibt es jetzt schon viel zu tun. Und es wird nicht weniger werden.