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Wenn aus Zuflucht eine Heimat wird

Die Eritrea-Gemeinde in Hamburg wird immer größer. Grund genug für eine evangelische Gemeinde, die Türen ihrer Kirche zu öffnen. Die Kooperation klappt problemlos – bis auf die Sache mit den Schuhen.

Gemeinsam den Glauben feiern (v.l.): Manuela Heyns (Tabita-Gemeinde), Tsegai Mebrahtu und Pastor Hybu Hargeweyne (Eritrea-Gemeinde), Pastor Matthias Kaiser (Tabita-Gemeinde)
Gemeinsam den Glauben feiern (v.l.): Manuela Heyns (Tabita-Gemeinde), Tsegai Mebrahtu und Pastor Hybu Hargeweyne (Eritrea-Gemeinde), Pastor Matthias Kaiser (Tabita-Gemeinde)Regine Marxen

Hamburg. Es kommt zusammen, was im Kern zusammengehört. So empfindet Pastor Matthias Kaiser von der Tabita-Gemeinde in Ottensen. Am 24. Januar wurde mit einem großen Gottesdienst in der Kreuzkirche am Hohenzollernring die eritreisch-orthodoxe St.-Michel-Gemeinde als neuer Partner begrüßt. „Es war ein langer Weg, aber wir freuen uns, dass wir nun mit unseren eritreischen Freunden die Kreuzkirche gemeinsam nutzen werden“, sagt Kaiser. „Was wir hier leben, ist Ökumene im besten Sinne. Denn: Wir sind alle Christen.“
Alle zwei Wochen wird nun in der Tabita-Gemeinde ein eritreisch-orthodoxer Gottesdienst stattfinden. Immer von 5 Uhr morgens bis 13 Uhr mittags. Tsegai Mebrahtu, Vorstandsmitglied der St.-Michel-Gemeinde und einer der Initiatoren der Partnerschaft mit der Tabita-Gemeinde, sieht einen großen Bedarf hierfür innerhalb der eritreischen Glaubensgemeinschaft Hamburgs. Über Jahre wäre diese recht klein gewesen, und die Räume des Schröderstifts hätten ausgereicht, auch eigene Pastoren hätte es nicht gegeben. Mit der Flüchtlingsbewegung aber wuchs die Gemeinde innerhalb kurzer Zeit auf 1000 Mitglieder an.

Hamburg kann eine neue Heimat sein

Also wandte er sich hilfesuchend an die Tabita-Gemeinde mit der Bitte, die Kreuzkirche am Hohenzollernring für Gottesdienste und Feierlichkeiten nutzen zu dürfen. „Die Menschen sind traumatisiert“, sagt er. „Sie brauchen Hilfe und Unterstützung.“ Im Alltag, aber auch in der Glaubensarbeit, als Halt und Stütze. „Das ist viel Arbeit, derzeit widme ich jede freie Minute der Gemeinde“, sagt Mebrahtu. Eine Tätigkeit, für die  er viel positives Feedback erhält.
Vier Pastoren hat seine Gemeinde inzwischen. Hybu Hargeweyne ist einer von ihnen. Seit sieben Monaten ist er in Hamburg und freut sich, nun regelmäßig in der Kreuzkirche predigen zu dürfen.
Zum ersten großen eritreischen Gottesdienst am 23. Januar ab 22 Uhr kamen knapp 400 Gemeindemitglieder in die Kreuzkirche, um gemeinsam die Taufe Jesu zu feiern. „Wir haben extra den HVV informiert, damit sie auf den Kundenansturm vorbereitet sind und sich nicht wundern“, sagt Kaiser. Viele der eritreischen Christen machten die Nacht durch,  mit Musik, Tanz und Gebeten, und nahmen um 10.30 Uhr am Morgen danach am ökumenischen Begrüßungsgottesdienst teil. „Unsere Räume werden belebt“, freut sich Kaiser über die Art und Weise, mit der die eritreisch-orthodoxen Christen ihren Gottesdienst zelebrieren. „Sicherlich erleben wir hier zwei Kulturen. Männer und Frauen sitzen getrennt, tragen weiße Gewänder, tanzen vor dem Altar gemeinsam. Die Musik spielt eine große Rolle. Diese Gemeinschaft hat eine so feinsinnige Liturgie“, sagt er.

400 Schuhe im Eingang

Probleme im Umgang mit der großen Anzahl an Gläubigen hat er nicht. „Kirche ist für diese Menschen ein absolut heiliger Ort“, sagt Kaiser. „Wir sind sehr zufrieden mit der Entwicklung dieser Partnerschaft, es gibt einen sehr sensiblen Umgang mit sakralen Räumen.“ Nur kleinere Probleme organisatorischer Natur hätten sich ergeben. Das Schuhproblem zum Beispiel:  Eritreische Christen ziehen ihre Schuhe vor den Kirchenräumen aus. Aber wenn rund 400 Schuhe im Eingangsbereich liegen, sind die Fluchtwege versperrt. „Darüber müssen wir dann sprechen“, sagt Kaiser.
Für die Menschen im Viertel, sagt Kaiser, wäre diese Idee durchaus ungewöhnlich und eine Herausforderung. Und auch innerhalb der Gemeinde hätte es einige wenige Stimmen des Unmuts gegeben. „Aber der Kirchenvorstand hat dem Nutzungsvertrag mit der St.-Michel-Gemeinde einstimmig zugestimmt“, betont Kaiser. Nun müsse man die Menschen im Umfeld informieren über das, was in der Kreuzkirche umgesetzt wird, aufklären und für die Ökumene werben.

Noch viel Arbeit zu tun

Auch Mebrahtu sieht noch viel Arbeit vor sich, um die Kulturen einander annähern zu können. Die gemeinsame Nutzung der Kreuzkirche sei ein guter Anfang. „Nun müssen wir sehen, wie St.Michel sich weiterentwickelt. Und die Menschen anhalten, weiter zu glauben“, erklärt er. „Wir müssen die jungen Leute mitziehen.“
Pastor Kaiser sieht das ähnlich. Der Glauben halte Menschen aufrecht, würde verhindern, dass sie auf die schiefe Bahn geraten. „Wir haben die Aufgabe, diesen Menschen zu helfen, funktionierende Biographien zu erschaffen. Hamburg muss zeigen, dass es für die Christen aus anderen Ländern nicht nur Zuflucht, sondern eine Heimat sein kann.“ (epd)