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„Weil ich nicht töten möchte“: Ein russischer Kriegsdienstverweigerer erzählt

Kriegsdienstverweigerer haben es schwer, in Deutschland Asyl zu bekommen. Ihnen droht Abschiebung. So erging es auch dem 22-jährigen Maxim aus Moskau.

Maxim hofft, dass sein Recht, den Kriegsdienst zu verweigern, anerkannt wird
Maxim hofft, dass sein Recht, den Kriegsdienst zu verweigern, anerkannt wirdVilkass (AI)/Pixabay (Symbolbild)

Maxim hat seine dunkle, schwere Lederjacke über den Stuhl gehängt. Hellwach blitzen seine braunen Augen. Er lacht oft, obwohl ihm nicht immer danach zumute ist. Der 22-jährige Moskauer kam vor eineinhalb Jahren nach Deutschland. Er war über Georgien und Finnland geflohen, als der Krieg gegen die Ukraine begann und ihm die Einberufung drohte. „Ich möchte nicht töten und auch nicht getötet werden“, sagt er und wieder blitzen seine Augen.

Auf der Flucht aus Russland erreichte ihn dann diese Nachricht: Alle jungen russischen Männer, die sich nicht an dem völkerrechts­widrigen Krieg gegen die Ukraine beteiligen wollen, sind in Deutschland willkommen, sollen Schutz haben. Das hatte Bundeskanzler Olaf Scholz damals gesagt. Maxim hat ihm geglaubt, war nach Berlin gekommen. Doch er hatte sich getäuscht. Bei der deutschen Innenministerin Nancy Faeser jedenfalls war diese Zusicherung nicht angekommen.

Maxim sucht Schutz im Kirchenasyl in Berlin

In der deutschen Hauptstadt, wo schon sein Bruder lebte, begann die Odyssee. Maxim schüttelt den Kopf mit den dunklen Locken. Seine Erzählung über die Hoffnung, in Deutschland als Kriegsdienstverweigerer Schutz zu finden, klingt nach einem Katze-und-Maus-Spiel. Das in Wirklichkeit kein Spiel ist. Es geht bei dem Schwächeren, der Maus, um Leben oder Tod.

Maxim drohte die Abschiebung in das sichere Drittland, aus dem er gekommen ist. Das war Georgien, von dem bekannt ist, dass es die jungen Männer zurück nach Russland schickt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hatte ihm eine Frist gesetzt: bis zum 27. April 2024 sollte er Deutschland verlassen. Das Kirchenasyl der Versöhnungsgemeinde in Berlin-Mitte mit Pfarrer Thomas Jeutner hat ihn davor bewahrt.

In Deutschland gilt das Recht auf Kriegsdienstver­weigerung

Anders als in Deutschland, wo das Recht auf Kriegsdienstver­weigerung im Grundgesetz festgeschrieben ist, steht in der 1993 verabschiedeten Verfassung der Russischen Föderation lediglich das Recht auf einen Wehrersatzdienst. Aber in Zeiten des Krieges ist das Makulatur. Männer zwischen 18 und 65 Jahren müssen jederzeit damit rechnen, per Post den Einberufungsbefehl zu bekommen.

Dem Gesetz nach müssten amtliche Schreiben persönlich zugestellt und der Empfang mit Unterschrift bestätigt werden. Das wird längst nicht mehr eingehalten. Vor den Vereinten Nationen hat der Internationale Versöhnungsbund berichtet: „Seit Beginn der Mobilisierung ist es in den Großstädten eine weit verbreitete Praxis, dass Polizeibeamte Männer auf der Straße anhalten, ihre Papiere überprüfen und versuchen, ihnen eine Vorladung auszuhändigen.“ Wer verweigert, dem drohen mehrere Jahre Haft.

250.000 junge Männer haben seit Beginn des Krieges Russland verlassen

In letzter Zeit wurde eine weitere Praxis in Form von Razzien eingeführt. Am 9. Oktober kam die Polizei in das „Aufwärmzentrum“ für Obdachlose in Moskau und nahm mehrere Dutzend Personen fest. Auch in Arbeiterwohnheimen gab es Razzien. In St. Petersburg blockierten Polizeibeamte die Ausgänge mehrerer Wohngebäude und verteilten Vorladungen. Zudem fehlten den Behörden bei den Rekrutierungen Informationen über Ausmusterungen oder Zurückstellungen. Dadurch ist zu erklären, warum selbst offizielle russische Stellen zugaben, dass Menschen im Zuge der Teilmobilmachung zu Unrecht inhaftiert wurden. Ihre Zahl ist unbekannt.

250.000 junge Männer haben seit Beginn des Krieges Russland unter schwierigsten Umständen verlassen. Knapp drei Prozent von ihnen kamen in der EU an, den wenigsten glückte die Flucht nach Deutschland. Beim BAMF gingen seit Ausbruch des Krieges 3500 Asylanträge von russischen Männern im wehrpflichtigen Alter ein. Wie aus einer Anfrage an den Deutschen Bundestag hervorgeht, wurden bis September 2023 gut 1500 Fälle entschieden, nur rund 90 Menschen erhielten einen Schutzstatus. 1100 wurden abgewiesen, weil nach der Dublin-Regelung ein anderes Land zuständig sei. Doch welcher junge Mann in Russland, der verweigert, kann sich in ein Flugzeug setzen und direkt nach Deutschland reisen?

In Deutschland Asyl zu bekommen ist für russische Kriegsdienstverweigerer alles andere als ein Kinderspiel.
In Deutschland Asyl zu bekommen ist für russische Kriegsdienstverweigerer alles andere als ein Kinderspiel.Imago / Wolfilser

Rudi Friedrich vom Verein „Connection“, der sich um Kriegsdienstverweigerer und Deserteure kümmert, kritisiert die Ablehnung der russischen Verweigerer auf das Schärfste. „Wir sind alarmiert darüber, mit welcher Begründung das BAMF die Asylanträge ablehnt“, sagt er. Er verweist auf die schwer nachvollziehbare Praxis, dass sich der Antragsteller „beachtlich wahrscheinlich“ und nicht nur „wahrscheinlich“ dem Militärdienst entzogen haben muss, um anerkannt zu werden. Um dem ersten Kriterium zu genügen, muss er der russischen Opposition angehören. Das ist nicht immer der Fall und wenn doch, schwer nachweisbar. „In letzter Konsequenz heißt das, dass deutsche Behörden russische Verweigerer dem russischen Militär zur Rekrutierung in einen völkerrechtswidrigen Krieg ausliefern“, sagt Rudi Friedrich.

Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht

Er verweist darauf, dass die Kriegsdienstverweigerung 2011 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als Menschenrecht anerkannt worden ist. Sowohl Deserteure als auch Militärdienstentzieher können sich dazu entschließen, ihre Kriegsdienstver­weigerung zu erklären. Anträge müssten durch ein unabhängiges Gremium entschieden werden. In Russland ist das Militär an den Entscheidungen beteiligt.

Mit Sorge sehen „Connection“ und „Pro Asyl“ allerdings auch die aktuelle Entwicklung in der Ukraine. Mitte April hatte das dortige Parlament Gesetzesänderungen beschlossen, womit konsularische Dienste nur noch im Land erfüllt werden. Damit müssen militärpflichtige Männer, die keinen gültigen Pass mehr haben, in der Ukraine neue Ausweispapiere beantragen. Die Konsequenz ist, dass sie gemustert und einberufen werden können.

Asylantrag wird neu verhandelt

Maxim ist froh, in Deutschland neue Freunde gefunden zu haben. Auch Ukrainerinnen und Ukrainer sind darunter. Bei ihnen konnte er zeitweilig wohnen. Er ist dankbar, dass das Kirchenasyl ihn vor der Abschiebung nach Georgien bewahrt hat. Weil die Frist der Abschiebung abgelaufen ist, wird sein Asylantrag neu verhandelt. Mit der Hoffnung, nun in Deutschland bleiben zu können, verbindet Maxim den Wunsch, ein IT-Studium aufzunehmen.

Auch Thomas Jeutner von der Versöhnungskirche hofft, dass Maxim eine neue Chance in Deutschland erhält. Über die Anwältin in der Berliner Flüchtlingskirche war er auf ihn aufmerksam geworden, hatte sich des Falls angenommen. Seit sieben Jahren gibt es hier in ­seiner Gemeinde an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze an der Bernauer Straße das Kirchenasyl. 65 Menschen wurden aufgenommen, darunter auch Kriegsdienstverweigerer.

Für Pfarrer Jeutner liegt dieses Engagement an der ehemaligen Mauer nahe. „So, wie Menschen in Zeiten der deutschen Teilung einen hohen Preis für ihre Flucht in die Freiheit zahlten, tun sie das ja heute wieder“, sagt er. Und: „Damals wie heute wissen sie nicht, wie es ausgeht.“ Auch Maxim, der sich unter Lebensgefahr dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine entzieht, gehört dazu.