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Warum junge Menschen aus Afrika nach Europa streben

Migration ist seit Monaten das Reizwort schlechthin in der politischen Debatte. Häufig klingt es so, als ob vor den Toren Europas Millionen Afrikaner auf Einlass warten würden. Die Realität ist jedoch eine andere.

Aspekte rund um Migration und Abschiebung sind in Deutschland zentrale Themen der aktuellen politischen Auseinandersetzung. Die vielfältigen Gründe für die Migration speziell aus afrikanischen Ländern werden jedoch kaum beleuchtet. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) beantwortet in diesem Zusammenhang einige der wichtigsten Fragen.

Die zahlreichen Statistiken sind nicht immer vergleichbar. Laut der Internationalen Organisation für Migration registrierten die italienischen Behörden für das zweite Quartal 2024 fast 14.599 Ankünfte und somit 61 Prozent weniger als im zweiten Quartal 2023 (37.824). Insgesamt kamen im ersten Halbjahr 2024 gut 26.000 Menschen an, während es in Griechenland gut 18.200 und in Spanien knapp 25.000 waren. Insgesamt wurden knapp 80.000 Personen gezählt, die über das Mittelmeer auf dem europäischen Festland sowie auf den Kanarischen Inseln ankamen.

Es ist unklar, wie viele Menschen bei der Überfahrt von West- und Nordafrika nach Europa sterben. Von Januar bis Juni erreichten 25 Boote ihr Ziel Kanarische Inseln nicht. Da in der Regel Schlepper die Fahrten organisieren, gibt es keine Passagierlisten. Auch informieren viele Migranten ihre Familien nicht. Wenn die meist jungen Menschen verschwinden und sich später beispielsweise nicht aus Spanien melden, bleibt ihr Schicksal unklar.

Auch wenn Wahlkampfrhetorik bisweilen einen Anstieg der Zahlen vermuten lässt: Sie sinken. Laut der europäischen Grenzschutzagentur Frontex ist die Zahl der irregulären Grenzübertritte in die EU in den ersten acht Monaten 2024 um 39 Prozent gesunken. Genau 139.847 wurden gezählt. Allerdings ändern sich die Routen. So nehmen Boote aus Marokko, Senegal, Gambia und Guinea zunehmend Kurs in Richtung Kanarische Inseln. 2023 kamen dort knapp 40.000 Menschen an.

Auch darüber gibt es keine gesicherten Daten. In Nigeria, wo geschätzt 230 Millionen Menschen leben, betonen zwar viele, dass sie ihr Land gerne in Richtung Europa oder USA verlassen möchten. Die wenigsten setzen das Vorhaben jedoch um. Das ist in Ghana ähnlich. 2017 sagte etwa jeder dritte Ghanaer, innerhalb von ein oder zwei Jahren auswandern zu wollen; gleichzeitig plante nur jeder zehnte tatsächlich die Auswanderung.

Unter jenen, die ohne Papiere in die EU einreisen, sind zunehmend Afrikaner. 2023 machten Personen aus West- und Zentralafrika 39 Prozent aus; 2022 lediglich 17 Prozent. Relativ häufig wurden Menschen aus Guinea, der Elfenbeinküste, Mali und Senegal registriert.

In einigen Regionen im Senegal hat Migration eine lange Tradition und gehört für junge Männer zum Erwachsenwerden dazu. Zentral ist sie auch in der Gegend rund um die Stadt Kayes im Nordwesten Malis. 2007 wurde geschätzt, dass 80 Prozent der in Frankreich lebenden Malier von dort stammen. Als Grenzkontrollen noch nicht so streng waren und Visa häufiger erteilt wurden, wurden auch Pässe innerhalb von Familien weitergereicht. Migranten blieben einige Jahre, gingen zurück, und jüngere Geschwister oder Cousins kamen nach. In Frankreich “teilten” sich Menschen nicht selten entsprechende Papiere.

Geld und Prestige: In Benin City in Nigeria lassen sich vielerorts alte Elektrogeräte und Möbel aus Europa kaufen; von Nigerianern aus Europa geschickt. Das bringt zusätzliches Einkommen; gleichzeitig gilt es als Statussymbol: Familien haben jemanden in Europa. Auch politische Repressionen und Perspektivlosigkeit verstärken den Wunsch, die Heimat zu verlassen.

Rund um Kayes wurden mitunter ganze Dörfer mithilfe von Rücküberweisungen der Migranten aufgebaut. Die meisten Menschen leben von der Landwirtschaft und arbeiten im informellen Sektor. Auch aufgrund des Klimawandels mit Trockenperioden und Starkregen wird das zunehmend schwierig. Überdies mangelt es an Möglichkeiten, Kredite für Investitionen zu bekommen, etwa für Bewässerungsanlagen. Gleichzeitig wächst überall in Westafrika die Bevölkerung; in Niger beispielsweise jährlich um knapp 3,7 Prozent.

Gerade in ländlichen Regionen Afrikas sind auch 50 Euro – die vorgesehene Bargeld-Obergrenze – viel Geld. In Guinea gelten beispielsweise zwei von drei Menschen als mehrdimensional arm. Für diese Statistik werden mehrere Indikatoren in den Kategorien Bildung, Gesundheit und Lebensstandard ausgewertet. Ganze Länder hängen stark von den Rücküberweisungen aus dem Ausland ab. Im Jahr 2022 machten sie in etwa Gambia 28 Prozent des Bruttosozialprodukts aus. Rücküberweisungen sind für einzelne Länder weitaus bedeutsamer als zugesagte Gelder im Rahmen von Migrationsabkommen.

Nein. Das ist eher die Ausnahme. Migration findet vor allem auf regionaler Ebene statt. Wegen teils willkürlich gezogener Staatsgrenzen gibt es bis heute in vielen Ländern Afrikas keine nationale Identität. In der Elfenbeinküste leben etwa 2,2 Millionen Migranten. Das Land gilt als wirtschaftliches Zentrum im frankophonen Westafrika. Menschen, die die Sahara durchqueren, bleiben auch in Nordafrika, weil sie schon dort mehr Geld verdienen können.