Nachrichten aus längst vergangenen Zeiten: Vor 80 Jahren sorgte Hilfe aus den USA dafür, dass Menschen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg das Nötigste zum Überleben bekamen. Vieles hat sich seither geändert.
Dankbarkeit – sie ist heute noch zu spüren bei jenen, die sich an die wohl berühmtesten Paketsendungen aus den USA erinnern. Lange bevor es Amazon gab und lange bevor ein Präsident namens Donald Trump sich daran machte, die engen Bande zwischen den USA und Deutschland sowie anderen westlichen Staaten zu kappen.
Ein Rückblick: Vor 80 Jahren, am 27. November 1945, beschlossen 22 US-Wohlfahrtsverbände in New York, den Menschen in dem vom Zweiten Weltkrieg verwüsteten Europa zu helfen. Sie gründeten dafür die “Cooperative for American Remittances to Europe” (“Genossenschaft für amerikanische Sendungen nach Europa”), kurz Care.
Die wichtigste “Erfindung”: Care-Pakete. Anfangs enthielten sie beispielsweise 450 Gramm geschmortes Rindfleisch, ein Pfund gedörrte Aprikosen, ein Pfund Kaffee und zwei Stück Seife. “Schon der Duft, der das Paket umwehte, war unwiderstehlich: Wir Kinder rochen sofort den Kakao und die Schokolade heraus”, sagte Schauspielerin Uschi Glas vor einigen Jahren.
“Sorge tragen, sich kümmern”, englisch “to care” – diese Losung machten sich bald Abertausende US-Amerikaner zu eigen. Sie übernahmen die Kosten für den Versand der Standardpakete und benannten den Adressaten in Europa. Care besorgte die Zustellung – anfangs Richtung Frankreich, bald darauf auch nach Deutschland. Keine leichte Aufgabe in Regionen, in denen Autos oder Eisenbahnen kaum mehr existierten, in denen ganze Stadtviertel in Trümmern lagen, Dörfer von der Landkarte ausradiert waren.
Speziell in Deutschland war die Lage desolat: Mindestens 17 Millionen Menschen hatten ihre Heimat verloren, irrten durch ausgebombte Städte, über zerstörte Straßen und Wege. Schießereien und Plünderungen gehörten zur Tagesordnung. Dazu gesellte sich als eine Art Grundrauschen der Hunger. “Man sollte meinen, die Nahrungsversorgung in Europa hätte sich mit dem Kriegsende gebessert – aber vielerorts verschlechterte sie sich”, schreibt der britische Historiker Keith Lowe in seinem Panorama “Der Wilde Kontinent” über “Europa in den Jahren der Anarchie 1943-1950”.
Zu Kriegsbeginn nahmen die Deutschen im Schnitt rund 2.750 Kalorien am Tag zu sich. In der britischen Besatzungszone waren es im März 1946 noch 1.014 Kalorien, rechnet Lowe vor. Bilder des Elends gaben den Anstoß zur Paketaktion von Care. Frauen, die mit ihren Kindern in Bunkern hausten, hohläugige Gestalten, die in Kirchen ohne Dach einen Gott um Erbarmen anflehten, der sich angesichts all der sinnlosen Grausamkeit des Krieges von der Menschheit abgewandt zu haben schien. Ausgemergelte Alte, die in Müllkippen nach Essbarem suchten. Von einem “Armageddon” sprachen entsetzte Soldaten der Alliierten in Anlehnung an die endzeitliche Entscheidungsschlacht in der Offenbarung des Johannes.
Am 15. Juli 1946 landeten die ersten “Liebesgaben” aus den Staaten in Bremen. “Mächtige Scheinwerfer zaubern helles Tageslicht in die Nacht, die über dem Bremer Überseehafen liegt”, begrüßten Reporter die Ankunft der Care-Pakete. Für viele Deutsche wirkte es wie ein Wunder: Aus dem fernen Amerika trudelte Paket um Paket in jenem Land ein, das den Krieg entfesselt und dessen Volk neben vielen anderen Grausamkeiten die Ausrottung der europäischen Juden betrieben hatte.
Die Hilfsaktion zog rasch Kreise. “Wir hatten bald 45 Familien mit regelmäßigen Paketen zu versehen”, schilderte ein Spender aus den USA die Lage 1948. Außer Lebensmitteln kämen “die unmöglichsten erbetenen Artikel” hinzu: Spritzen und Bohrer für einen Zahnarzt, Pinsel und Farbe, “Alarmuhren”, Kochtöpfe und Kleider. “Naturgemäß war mein Verdienst dafür nicht ausreichend, und die Ersparnisse waren bald aufgebraucht. Ich musste selbst eine Anleihe aufnehmen, und meine Frau nahm Näharbeit von einer Krawattenfabrik ins Haus.”
Auch für die gesamte Care-Aktion wurde 1948 zu einem Bewährungsjahr. Während der Berlin-Blockade durch die Sowjets von Juni bis zum Mai 1949 versorgten die Westalliierten die Einwohner im Westen der Stadt über eine Luftbrücke. Mit an Bord: Care-Pakete. “Jedes der fünf Millionen Care-Pakete, die bis jetzt in Deutschland abgeliefert worden sind, hat mit dazu beigetragen, ein Band der Freundschaft zu schaffen”, hielt ein bewegter Bundeskanzler Konrad Adenauer anschließend fest. Bis 1960 wurden rund 100 Millionen dieser Hilfspakete verteilt – über zehn Millionen davon allein in Deutschland.
“Das war bedingungslose Hilfe von Mensch zu Mensch über ehemalige Feindeslinien hinweg”, sagt Care-Deutschland-Präsidentin Claudia Warning rund acht Jahrzehnte danach. Die Arbeit ist den Helfern bis auf den heutigen Tag nicht ausgegangen – zu deren eigenem Bedauern. In Europa tobt wieder ein Krieg, seit Russland die Ukraine überfallen hat. Im afrikanischen Sudan herrscht unermessliches Leid in einem blutigen Bürgerkrieg. Und im Gazastreifen fehlt der Bevölkerung jede Perspektive.
“Über 300 Millionen Menschen sind derzeit auf humanitäre Hilfe angewiesen, mehr als 120 Millionen weltweit auf der Flucht, während die Finanzierung humanitärer Hilfe global dramatisch zurückgeht”, beklagt die Organisation. Einer, der für die finanziellen Engpässe mitverantwortlich ist, kommt aus der Stadt, in der seine Landsleute einst die “bedingungslose Hilfe von Mensch zu Mensch” ins Leben riefen: Donald Trump.