Einsamkeit kann bodenlos werden, sagt ein Psychiater. Jahre nach der Corona-Pandemie zeige sich das vor allem bei jüngeren Menschen, die entscheidende Lebensschritte verpasst hätten. Doch er sieht auch Hoffnung.
“Das kann ja nur zu Einsamkeit führen, wenn man sich denkt: Ich lieg’ allein in meinem Bett und schau aber Leuten beim Feiern auf einer tollen Insel zu”, sagt Sängerin Nina Chuba dem WDR. “Da fühlt man sich einfach nicht verstanden und als wäre man irgendwie so nicht in der gleichen Welt wie die Menschen, die anscheinend das Leben auskosten.” Was die 26-Jährige, die als Stimme ihrer Generation gilt, alltagsnah umschreibt, hat der Philosoph Walter Benjamin einst ein “reflexives Phänomen” genannt: Einsamkeit treffe einen dann, wenn sie von anderen Menschen, die sich “ohne uns gesellig vergnügen, auf uns zurückstrahlt”.
Die Musikerin äußerte sich zum Beginn einer Aktionswoche zum Thema Einsamkeit des Senders 1Live. Eine Umfrage zum selben Anlass zeigte am Montag: Vor allem junge Menschen im bevölkerungsreichsten Bundesland leiden an Einsamkeit. Knapp die Hälfte (46 Prozent) der 18- bis 34-Jährigen berichtet, sich selbst in Gesellschaft von Familie und Freunden häufig oder manchmal einsam zu fühlen. Unter den Menschen ab 35 Jahren geben nur 14 bis 15 Prozent an, solche Empfindungen zu haben.
Die Erhebung zeigt zudem einen klaren Zusammenhang zwischen der Nutzung Sozialer Medien und dem Erleben von Einsamkeit. Etwa 20 Prozent der 18- bis 34-Jährigen gaben an, sich bei der Nutzung Sozialer Medien häufig einsam zu fühlen. Bei einem weiteren Viertel trifft dies manchmal zu. Der Sozial- und Jugendforscher Kilian Hampel sagte, in Studien berichteten viele junge Menschen, dass sich durch die Nutzung Sozialer Medien ihr Selbstbild verschlechtere – und zwar indem sie sich dauernd vergleichen und das Gefühl hätten, sich auch vergleichen zu müssen, statt sie selbst sein zu können.
Auch Joachim Küchenhoff sieht einen Einfluss von Tiktok, Instagram und Co. – insbesondere dann, wenn diese Plattformen “zu intensiv genossen” würden. Doch auch Familienstrukturen, die in den vergangenen Jahren zerfallen seien, prägten das Empfinden jüngerer Menschen: “Sichere Bindungen werden schwieriger – und seltener”, sagt der Psychiater im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Nicht zuletzt zeige sich erst heute das ganze Ausmaß der Corona-Folgen. “Dieses Abgeschnittensein in einer Lebensphase, in der man ein eigenes Leben beginnen und aufbauen möchte – das geht vielen nach.”
Die Wurzeln vieler Schwierigkeiten verortet Küchenhoff jedoch deutlich früher. Schon in den ersten Lebensmonaten entstehen Bindungen, und verlässliche gelten als gute Basis für Stabilität und spätere Beziehungen. Trennungserfahrungen gehören dazu, betont der Experte – ob bei der Einschulung oder dem späteren Auszug aus dem Elternhaus. “Sie dürfen aber nicht ohne die Möglichkeit erfolgen, aufgefangen zu werden.” So könnten Kleinkinder eine gewisse Zeit des Alleinseins ertragen, bevor sie unruhig und irgendwann panisch würden.
Unterschiede darin, wie schnell jemand sich einsam fühlt und wie sehr man darunter leidet, werden also bereits früh im Leben angelegt. Das wichtigste Gegenmittel ist für Küchenhoff, echte und sichere soziale Netzwerke zu schaffen und in Verbindung mit anderen Menschen zu bleiben. Dazu gehöre, selbst ein guter Freund zu sein, etwa auch mal zu einem Treffen zu gehen, wenn man vielleicht weniger Lust habe. Er sieht auch eine Parallele zur Politik: Wenn Menschen sich nicht getragen fühlten, weil die Demokratie in Frage stehe, fördere das die Einsamkeit.
Der Forscher wirbt zudem für einen differenzierten Blick. Gerade unter jungen Menschen sieht er auch Gegenbewegungen zur grassierenden Einsamkeit. Als Beispiel nennt er die Swifties – Fans des US-Popstars Taylor Swift, deren neues Album “The Life of a Showgirl” am Wochenende wie erwartet Streaming-Rekorde brach. Diese meist jungen, weiblichen Fans treffen sich etwa zum gemeinsamen “Hearing”, für Swift-Parties, knüpfen einander Freundschaftsbändchen oder planen Gruppen-Outfits.
Für andere Altersgruppen gebe es andere Angebote, etwa Möglichkeiten des gesellschaftlichen Engagements, sagt Küchenhoff. Wichtig sei bei all diesen gemeinsamen Vorlieben und Aktivitäten, Kontakte eben nicht ausschließlich digital zu pflegen.