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Viele Fragezeichen

Ist sie ein unschuldiges Opfer des türkischen Präsidenten? Was steckt hinter dem Netzwerk, das Bildung fördert und gleichzeitig einen konservativen Islam vertritt?

picture alliance / AP

Spätestens seit dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei ist sein Name auch hierzulande den meisten Menschen geläufig: Fethullah Gülen. Der türkische Präsident Reccep Tayyip Erdogan macht den 1941 im Nordosten der Türkei geborenen Prediger und seine weitverzweigte Anhängerschar für den versuchten Umsturz verantwortlich. Nichts davon ist wirklich bewiesen. Klar ist nur: Aus den ehemaligen Freunden und Weggefährten Gülen und Erdogan wurden Gegner. Seit 1999 lebt Gülen in den USA.
Ebensowenig eindeutig wie die die Hintergründe des Putschversuchs ist die politische und religiöse Einordnung der Gülen-Bewegung an sich. Sie selbst sieht sich jedenfalls als Opfer der Verfolgung durch die türkischen Behörden. Und die reicht in der Tat weit. Tausende Mitglieder wurden verhaftet oder aus dem Staatsdienst entlassen – und das bereits ganz kurz nach dem Putschversuch. Die Gülen verbundenen Medien ließ Erdogan schließen.

Erdogans Arm reicht bis nach Deutschland

Auch in Deutschland sind die Folgen spürbar: In Köln, so berichtete der „Kölner Stadtanzeiger“, hätten sich bis Ende August mehr als 20 Schüler von dem privaten „Dialog“-Schulzentrum mit Gymnasium und Realschule abgemeldet. Viele Eltern, so der Geschäftsführer Osman Esen, fürchteten bei einem Verbleib ihrer Kinder Repressalien des türkischen Staates, etwa bei einer Einreise in das Land, und Verfolgungen durch die Anhänger Erdogans. Beide Schulen des Zentrums sind staatlich anerkannte Einrichtungen.
Der Sprecher der deutschen Gülen-nahen Stiftung „Bildung und Dialog“, Ercan Karakoyun, führt die Verfolgung der Gülen-Anhänger durch Erdogan darauf zurück, dass der Präsident gegen alle vorgehe, „die in der Türkei frei denken und die demokratisch gesinnt sind“.
Ob aber die Ziele der Erdogan-Regierung und die der Gülen-Bewegung so unterschiedlich sind, ist nicht sichergestellt – auch, weil die beiden lange Zeit Weggefährten waren. Nach Ansicht von Friedmann Eißler, Autor eines Buches über die Gülen-Bewegung und Referent bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW), geht es bei dem Streit nicht um Inhalte, sondern lediglich um „eine
Machtauseinandersetzung“. Im Grunde hätten die beiden Männer „stark überlappende Ziele“. Gülen und Erdogan verbinde das Ziel einer islamisch geprägten Gesellschaft. Die Staatsform sei dabei zweitrangig, so der Theologie und Islamexperte.
Die Gülen-Bewegung, die auch Hizmet (deutsch: Dienst)-Bewegung genannt wird, sieht das anders: Karakoyun betont, Gülen setze sich für den interreligiösen Dialog, Religionsfreiheit in der Türkei und einen Islam ein, der „ganz klar mit demokratischen Werten vereinbar ist“. Der Prediger trete „ganz klar für eine Trennung von Staat und Religion ein“
Wer letztlich Recht hat – darüber lassen sich nur schwerlich verbindliche Aussagen treffen. Sicher ist, dass Bildung ein hohes Anliegen der Gülen-Bewegung ist. Anhänger des Netzwerkes, das in mehr als 170 Ländern verbreitet ist, betreiben Bildungseinrichtungen, besitzen Zeitungen und Fernsehsender. Allein in Deutschland verantworten der Gülen-Bewegung nahestehende Träger mehr als 300 Kultur- und Bildungsvereine und Nachhilfeangebote, fast 30 Schulen sowie viele Kindertagesstätten. Zu der Bewegung zählen sich zudem etwa ein Dutzend Akademiker- und Unternehmerverbände sowie die internationale Mediengruppe World Media Group AG in Offenbach a. M.

Gehorsam als zentraler Wert

Zu diesem umfassenden Netzwerk sagte die Turkologin Ursula Spuler-Stegemann 2014 in der „Badischen Zeitung“: „Die Anhänger von Gülen betreiben Kaderbildung. Sie wollen ihre eigenen Leute mit guter Ausbildung und Prägung in einflussreiche Positionen in dieser Gesellschaft bringen.“ Diese „Sorte Islam“ zeige sich nach außen weltoffen, sei aber schariakonform. Es handele sich bei der Gülen Bewegung um ein in sich geschlossenes System, das dem einer Sekte sehr nahe komme.
Zu einer ähnlich kritischen Einschätzung kommt auch die EZW. In der Bewegung von Fethullah Gülen gibt es Eißler zufolge eine „hohe Sozialkontrolle“. Gehorsam und Opferbereitschaft seien absolute, zentrale Werte, an denen natürlich auch das Verhalten der Anhängerinnen und Anhänger gemessen wird, sagte er der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Über Aussteiger würden häufig negative Geschichten verbreitet. Das „Problem der Indoktrinierung“ entstehe nicht direkt in den Schulen und Nachhilfeeinrichtungen, sondern in deren Umfeld, so Eißler, der die Bewegung seit Langem beobachtet. Indem die jungen Leute für die inneren Kreise interessiert und angeworben würden, könne auch ein gewisser Druck entstehen.
Nach Ansicht von Eißler steht Gülen nicht für einen fortschrittlichen Islam. Man müsse sich klarmachen, dass der Prediger die islamischen Werte immer wieder in einen Gegensatz zu „westlichen“, also „christlichen“ Werten bringe. Gülen verteidige die Gebote und Verbote der Scharia. Er sei kein Reformtheologe, sondern „passt  lediglich die Vermittlung der konservativ-islamischen Inhalte geschickt den Umständen der umgebenden Gesellschaft an“. Bei Eißlers Bewertung muss allerdings berücksichtigt werden, dass die Bewegung theologisch als nicht konservativer gilt als die meisten in Deutschland vertretenen sunnitisch-türkischen Gemeinden.
Das Engagement der Gülen-Bewegung im Bildungsbereich jedoch wird allgemein positiv bewertet. Es wäre deshalb, so heißt es bei der Bundeszentrale für politische Bildung, wenig hilfreich, gerade der Gruppe, die von ihrer politischen Orientierung und ihrer praktischen Arbeit her einen positiven Beitrag zur Integration leisten kann, die Zusammenarbeit prinzipiell zu verweigern. Mit der Bereitschaft zur Zusammenarbeit müsse von deutscher Seite allerdings „die Forderung nach größtmöglicher organisatorischer, institutioneller und finanzieller Transparenz einhergehen“.

 Friedmann Eißler (Hrsg): Die Gülen-Bewegung (Hizmet). Herkunft, Strukturen, Ziele, Erfahrungen, EZW-Texte 238, Berlin 2015, 220 Seiten, 8 Euro; zu bestellen unter www.ezw-berlin.de;  Internet- Publikationen: Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen: Die Gülen-Bewegung (Hizmet): http://u.epd.de/l8g;  Bundeszentrale für politische Bildung http://u.epd.de/f0t.