Gerhart Baum hat manche Debatte in der Bundesrepublik bereichert. Nun ist der Politiker, Jurist und streitbare Verteidiger der Demokratie im Alter von 92 Jahren gestorben.
Wenn sein Name fiel, dann meist im Zusammenhang mit dem Begriffspaar “liberales Urgestein”. Am Samstag ist der FDP-Politiker und ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum gestorben. Das teilte die FDP auf ihrer Homepage mit. Baum wurde 92 Jahre alt und war bis zuletzt in der Düsseldorfer Kanzlei Baum Reiter & Kollegen tätig. Vertreter aus Politik und Gesellschaft würdigten am Wochenende das Wirken des Verstorbenen.
“Mit Gerhart Baum verlieren wir einen Menschen, der über lange Jahre den Diskurs in unserem Land geprägt hat. Einen Menschen, der aus eigener Lebenserfahrung die Schrecken von Diktatur und Krieg kannte und der daraus seine schier nie nachlassende Kraft schöpfte, für Demokratie, Freiheit, Bürger- und Menschenrechte zu kämpfen – in Deutschland und weltweit”, schrieb Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an Baums Witwe Renate Liesmann-Baum.
Ähnlich äußerten sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und der Linken-Politiker Gregor Gysi. Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) erinnerte an Baums Engagement für Kunst und Kultur. “Mit Gerhart Baum verlieren wir einen unermüdlichen Kämpfer für die Staatsferne und Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks”, sagte WDR-Intendantin Katrin Vernau. Der Politiker und Jurist war seit 2016 stellvertretendes Mitglied des WDR-Rundfunkrats.
Gerhart Baum habe über Jahrzehnte Verantwortung für die liberale Sache übernommen und die Partei geprägt, erklärte FDP-Parteichef Christian Lindner. “Unvergessen bleibt sein Einsatz als Bundesinnenminister für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung während des Terrors der RAF.”
Von 1972 bis 1994 saß Baum für seine Partei im Bundestag; von 1978 bis 1992 war er Bundesinnenminister. Von 1992 bis 1998 leitete er die deutsche Delegation in der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen. Neben seinem Engagement für Menschenrechte und die Kultur meldete sich Baum immer wieder in aktuellen politischen Debatten zu Wort. Als Anwalt vertrat er unter anderem Betroffene der Loveparade-Katastrophe 2010 in Duisburg und setzte sich im Namen der Hinterbliebenen des Olympia-Attentats von 1972 zur Lösung des jahrzehntelangen Konfliktes der Opfer mit der Bundesregierung ein.
Für sein Wirken erhielt Baum zahlreiche Auszeichnungen, darunter 2010 den Giesberts-Lewin-Preis der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, 2021 den Marion Dönhoff-Preis der “Zeit” und im vergangenen Jahr die Ehrendoktorwürde der Kölner Universität.
Nach seiner Flucht aus dem von alliierten Luftangriffen schwer getroffenen Dresden 1945 verbrachte Baum zunächst eine kurze Zeit in Bayern, bevor er nach Köln kam. Die Domstadt wurde zu seinem Lebensmittelpunkt.
Noch zu Jahresbeginn warnte Baum in einem Interview von Zeit online vor Geschichtsvergessenheit und populistischen Parolen. “Unsere Demokratie war noch nie so gefährdet wie jetzt.” Es drohe kein neuer Hitler. Und es drohe kein Völkermord. “Aber wir haben einen überbordenden Antisemitismus. Wir haben einen Rassismus, der sich auf die Menschen bezieht, die seit 2015 eingewandert sind”, sagte Baum. “Dabei müssen wir uns darauf einstellen, dass wir etwa 400.000 neue Arbeitskräfte pro Jahr integrieren müssen. Sind denn unsere AfD-Wähler darauf vorbereitet, dass ihre Renten davon abhängen?”