Wie viele Wohnungen er in den vergangenen Jahren in Israel auf Vordermann gebracht hat, kann Siegfried Rathfelder aus Bad Teinach (bei Stuttgart) gar nicht genau sagen. Aber eine Begegnung ist ihm besonders im Gedächtnis geblieben. „Die Dame hatte gerade ihren 100. Geburtstag gefeiert, was für sie an ein Wunder grenzte“, erzählt Rathfelder. „Denn eigentlich sollte sie wie Hunderttausende andere Juden im Konzentrationslager Auschwitz sterben, stand mit all den anderen Häftlingen schon nackt in den als Duschen getarnten Gaskammern. Aber dann wurden sie wieder rausgetrieben.“
Schuld lässt sich nicht in Worte fassen
Ob es ein technisches Problem gab oder ob das todbringende Gas Zyklon-B ausgegangen war, habe sie nie erfahren. „Was unser Volk da an Schuld auf sich geladen hat, lässt sich kaum in Worte fassen“, sagt der 75-jährige gelernte Elektriker, der sich für die Versöhnung von Deutschen und Juden einsetzt. Schätzungsweise leben heute noch rund 125.000 Überlebende des nationalsozialistischen Massenmordes an den Juden in Israel.
Seit 2004 reisen jedes Jahr Gruppen von Elektrikern, Maurern, Malern, Fliesenlegern und Installateuren nach Israel, um dort kostenlos die Wohnungen von Holocaust-Überlebenden zu renovieren oder soziale Einrichtungen zu modernisieren. Organisiert werden die Handwerkereinsätze vom Verein „Sächsische Israelfreunde“. Er wurde 1998 anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Staates Israel gegründet. Das Ziel: die Versöhnungsarbeit zwischen Deutschland und Israel zu vertiefen. Dem Vorsitzenden der Sächsischen Israelfreunde, Lothar Klein aus Dresden, geht es auch darum, die israelfeindliche Politik während der DDR-Zeit aufzuarbeiten.
Sechs Freiwillige machten vor 20 Jahren den Anfang
Zunächst organisierte der Verein mehrmals jährlich deutsch-israelische Begegnungen. Dabei wurde deutlich, dass viele Überlebende der Schoa sozial schlecht gestellt sind. Das lag zum einen daran, dass ihnen von ihrem Hab und Gut in Deutschland kaum etwas geblieben war, zum anderen daran, dass die wenigsten nach ihrer Ankunft im jungen Staat Israel in ihren erlernten Berufen arbeiten konnten. Was über das Nötigste zum Leben hinausgeht – sei es ein neuer Wohnungsanstrich oder auch nur eine Waschmaschinenreparatur – können sich zahlreiche der inzwischen alten Menschen daher heute nicht leisten. So entstand die Idee der Handwerkerreisen.
Mit sechs Freiwilligen fing vor 20 Jahren alles an. Seither ist das Projekt rasant gewachsen und reicht inzwischen längst über Sachsen hinaus. Handwerker aus ganz Deutschland opfern dafür nicht nur ihren Jahresurlaub, sondern zahlen die Reise auch aus eigener Tasche.
Manchmal gibt es Tränen der Rührung
Drei Tage brauchen die Spezialisten aus Deutschland durchschnittlich, um eine Wohnung auf Vordermann zu bringen, weiß Michael Sawitzki. Der Natursteinfachmann aus Claußnitz (bei Chemnitz) koordiniert die Einsätze, bei denen es nach seinen Worten um viel mehr geht als nur handwerkliches Geschick. „Das Wichtigste ist, die Menschen erzählen zu lassen“, sagt er. Manche Juden, die während der Zeit des Nationalsozialismus geflohen sind oder den Holocaust überlebt haben, sprächen mit den Helfern aus Deutschland nach fast 80 Jahren zum ersten Mal wieder Deutsch. Da gebe es schon mal Tränen der Rührung – auf beiden Seiten.