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Van Gogh in Bürgerhand

Es muss sich wie eine Revolution angefühlt haben. Als der erste wissenschaftliche Leiter der Kunsthalle Bremen, Gustav Pauli, 1911 das „Mohnfeld“ von Vincent van Gogh ankaufte, brach in der deutschen Kunstszene ein Sturm der Entrüstung los. Dieser sogenannte „Künstlerstreit“ hatte gesellschaftliche Brisanz, standen sich doch der konservativ-nationalistische Geschmack, den auch Kaiser Wilhelm II. vertrat, und die moderne französische Ästhetik gegenüber. Dabei spielte auch der Kunstverein der Hansestadt eine Rolle.

Natürlich war es in erster Linie der netzwerkende Kunsthistoriker Pauli (1866-1938), der mit Mut in die Moderne voranging. Aber nicht nur: Der vor 200 Jahren gegründete Kunstverein in der Stadt war der private Träger der Kunsthalle – und sorgte so auch für Beinfreiheit und Rückendeckung, um öffentlich umstrittene Ideen umzusetzen. „Bis heute ist das Haus in privater Trägerschaft des Kunstvereins in Bremen – das ist einzigartig in der deutschen Museumslandschaft“, sagt Direktor Christoph Grunenberg.

Am 14. November 1823 gründeten 34 Kunstfreunde – allesamt einflussreiche männliche Vertreter der städtischen Elite – den Verein als einen der ersten Verbünde dieser Art in Deutschland. In Nürnberg, Hamburg, Karlsruhe und München gab es damals bereits Zusammenschlüsse. „Aber dann kam auch schon Bremen – das war damals eine richtige Gründungswelle und hatte viel mit Aufklärung und Emanzipation des Bürgertums zu tun“, blickt Grunenberg zurück. „Es ging den Gründern um Bildung, um Ästhetik. Und um zeitgenössische Kunst, die ihnen aufregend und wichtig erschien.“

Die anfänglich kleine Gruppe verpflichtete sich, „den Sinn für das Schöne zu verbreiten und auszubilden“ – zuerst mit Ausstellungen ohne eigenes Haus. Wie selbstbewusst der Kreis war, zeigt sich unter anderem in einer Mitteilung zur Eröffnung des ersten Kunsthallen-Gebäudes 1849: „Nicht die Munifizenz eines Fürsten, nicht das Decret einer öffentlichen Behörde hat es errichtet, nein, unsere jährlichen fünf Thaler haben es gebaut.“

Neudeutsch gesagt: Ein Crowdfunding-Start-up, bei dem viele Geldgeber kleine Summen geben – und das mit 200 Jahren Geschichte. So ist der Verein bis heute verantwortlich unter anderem für den Unterhalt des Gebäudes, die Unterstützung von Ausstellungen und den Ankauf von Kunstwerken. Mittlerweile hat der Kunstverein in Bremen mehr als 10.000 Mitglieder und zählt damit zu den größten in Deutschland. Was sich geändert hat: Alle, die möchten, können eintreten und damit auch Mitbesitzende der Kunsthalle und ihrer Schätze werden, zu denen das „Mohnfeld“ von Van Gogh gehört.

„Heute umfasst die Sammlung des Kunstvereins einen einzigartigen Querschnitt durch die Kunstgeschichte aus über 700 Jahren – von Rembrandt über Dürer, Van Gogh, Picasso bis hin zu John Cage“, beschreibt Grunenberg. Der Verein und Protagonisten wie Pauli, der früh Impressionisten der französischen Moderne sammelte, haben das Haus zu einem Museum mit nationalem und internationalem Renommee gemacht – in Opposition zu Wortführern wie dem Worpsweder Maler Carl Vinnen, der im Künstlerstreit gegen eine „große Invasion französischer Kunst“ wetterte.

Das wird in diesem Jahr gefeiert, gerade mit einer großen Ausstellung, die unter dem Titel „Geburtstagsgäste“ bis zum 18. Februar 2024 Meisterwerke der französischen Malerei zeigt. Sie verdeutlicht die Bedeutung Bremens und Deutschlands bei der Durchsetzung der französischen Kunst. Werke von Courbet über Rodin bis Monet vermitteln ein schillerndes Panorama der Entwicklung bis zum Ersten Weltkrieg. Die Ausstellung mit rund 70 Werken spiegele den Geist jener Zeit wider, sagt Kuratorin Dorothee Hansen.

Zukünftig geht es nicht nur darum, weiterhin genügend Geld für die zwischenzeitlich mehrfach erweiterte Kunsthalle und ihre Arbeit einzuwerben. Denn vom Jahresetat in Höhe von etwa sieben Millionen Euro stellen die städtischen Zuschüsse mit 3,2 Millionen Euro weniger als die Hälfte. Den größten Betrag steuern nach wie vor Sponsoren, Mäzene und der Kunstverein bei. Längst ist das Museum auch in sozialen Netzwerken wie Instagram und TikTok präsent. „Wir wollen junge Menschen für die Kunst begeistern“, sagt Grunenberg.

Die Kunsthalle wolle ein offenes Museum sein, das ein vielfältiges Publikum anziehe und im Zentrum gesellschaftlicher Debatten stehe. „Das muss authentisch geschehen, da reicht TikTok nicht“, ergänzt der Direktor. Auch deshalb lädt die Kunsthalle beispielsweise Jugendliche im Rahmen des Jugendkuratoriums „New Perception“ zur Mitsprache ein, eröffnet ihnen die Chance, eigene Ausstellungen zu kuratieren. Und schlägt damit eine Brücke zu den Gründungsjahren des Kunstvereins, die bestimmt waren von der Freude, Dinge selbst in die Hand zu nehmen.