Es gibt kaum eine biblische Geschichte, zu denen niederländische Fliesenmaler keine Illustration beigesteuert hätten. Fast wäre das Jahrhunderte alte Kulturgut der Bibelfliesen, das nicht nur an der deutschen Nord- und Ostseeküste seine Spuren hinterlassen hat, in Vergessenheit geraten. Wäre da nicht das „Norder Bibelfliesenteam“ um Kurt Perrey, das sich seit 2003 diesem Erbe widmet. 2008 erschien erstmals die „Fliesenbibel“, 2012 folgte eine erweiterte und verbesserte Auflage. Über die „Ikonen des Nordens“ sprach der pensionierte Pfarrer, der heute in Emsdetten lebt, mit Annemarie Heibrock.
• Als ein besonderes Kulturgut hat Bundespräsident Joachim Gauck in einem Brief an Sie die Fliesenbibel bezeichnet. Er hat Sie für Ihr Engagement auch zum Bürgerfest ins Schloss Bellevue eingeladen. Was ist denn das Besondere an der Fliesenbibel?
Dass es mit Unterstützung vieler niederländischer und deutscher Fliesensammler gelungen ist, nahezu fast alle noch existierenden und weit verstreuten Original-Exponate abbilden zu können. Und dass man die Bibelfliesen-Bilder da finden kann, wo sie hingehören, immer im dazu passenden Text. Einmalig ist auch der fliesenkundliche Teil im Anhang, der von dem renommiertesten Kenner historischer Wandfliesen mit biblischen Motiven stammt: Jan Pluis.
• Bibelfliesen und alles darum herum – neben der Sammlung der Motive auch Vorträge und PR-Arbeit – scheinen zu Ihrem Lebensinhalt geworden zu sein…
Die Arbeit mit den Bibelfliesen ist eine lohnende und wirklich dankbare Aufgabe, die ich gerne mit anderen motivierten Leuten wahrnehme. Lebensinhalt ist sie aber nicht. Angefangen hat alles erst vor zwölf Jahren. 2003 war das „Jahr der Bibel” mit dem Motto „Suchen und finden. Die Bibel“. Damals bekam ich von meinem Kirchenkreis Norden in Niedersachsen den Auftrag, dazu etwas zu machen, das möglichst „typisch friesisch und echt biblisch“ sein sollte. Wahrscheinlich, weil ich bis dahin immer schon gerne Andachten und Gottesdienste mit Bildbetrachtungen gestaltet habe.
• Und wie fanden Sie Mitstreiter?
Irgendwie war das kein Problem. Ganz schnell hatten wir 20 bis 25 Leute zusammen. Und zwar nicht nur aus evangelischen, sondern auch aus katholischen Gemeinden. Darunter waren ganz viele unterschiedliche Talente: Handwerker, Fotografen, Fliesenmaler, Autoren, PR-Leute, Journalisten, Kunstkenner und Fliesensammler, die alle gebraucht wurden. Klar war uns allen, wie wir arbeiten wollten: ehrenamtlich, fliesenkundlich, grenzübergreifend, kulturgutfördernd und bibelmissionarisch. Wir alle hatten das Ziel zu verhindern, dass ein fast vergessenes Kulturgut mehr und mehr verloren geht.
• Wesentlich war daneben aber doch auch die Zusammenarbeit mit dem niederländischen Wissenschaftler Jan Pluis…
Er ist der renommierteste Kenner historischer niederländischer Wandfliesen mit biblischen Motiven. Sein 1994 erschienenes Grundlagenwerk war und ist die Basis unserer Arbeit. Jan Pluis war von Anfang an und ist immer noch bereit, uns fachkundig zu unterstützen und freut sich riesig über den Verlauf unseres Projektes in Deutschland. Nebenbei: Wir sind über die Bibelfliesen auch persönlich Freunde geworden.
• Nun sind die Fliesen mit biblischen Motiven ja niederländischen Ursprungs. Manche bezeichnen sie auch als „Ikonen des Nordens“, weil sie sich entlang von Nord- und Ostsee verbreitet haben. Was haben sie mit den Menschen in anderen Regionen zu tun?
Bibelfliesen-Fundstellen, da haben Sie Recht, gibt es vorranging im Norden und entlang der „Grenze“ zu den Niederlanden, doch Fliesensammler gibt es in ganz Deutschland. Und alle, die bisher von Bibelfliesen noch nichts gewusst haben, staunen umso mehr: „Dass es das überhaupt gibt!“
• Sie bezeichnen die Bibelfliesen als „glasierte Predigten“. Sprechen denn die Motive die Menschen heute noch an? Werden die Darstellungen noch verstanden?
Unterschiedlich, so wie auch die Gestaltungsarten der Bibelfliesen sehr unterschiedlich sind, weil sie aus verschiedenen Zeiten und verschiedene Manufakturen stammen. Aber keine andere Kunstgattung hat so viele Darstellungen zu biblischen Geschichten und Motiven aufzuweisen wie die der Bibelfliesen. Immer wieder mal bezeugen Leute nach dem Besuch unserer Ausstellung und/oder nachdem sie sich die Fliesenbibel besorgt haben, dass sie schon lange nicht mehr so ausgiebig in der Bibel gelesen hätten.
• Warum haben Sie zu den zum Teil Jahrhunderte alten Motiven der Fliesenbibel den relativ modernen Text der Gute-Nachricht-Bibel gestellt?
Wir hatten keine freie Wahl. Man muss den Bibeltext bei der Deutschen Bibelgesellschaft „kaufen“. Und der ist nicht billig. Außerdem ist die „Gute Nachricht“ ja eine der ersten freieren Bibelübertragungen und wurde von evangelischen, katholischen und freikirchlichen Theologen abgefasst. Das hilft uns, um nicht nur in evangelischen Gemeinden mit der Fliesenbibel anzukommen.
• Nun gibt es neben der Fliesenbibel und einer Schriftenreihe zu einzelnen Themen ein Buch, das das pädagogische Potenzial der Fliesen beleuchtet. Es bietet Anregungen für Schulen und Kindergärten. Glauben Sie, dass Sie Pädagogen dafür gewinnen können, mit Fliesen die Bibel zu erklären?
Ja, auf alle Fälle. Unter den Autorinnen und Autoren dieses Buches sind bereits einige von ihnen. Und für die anderen gilt: Was man bisher überhaupt nicht kennt, kann besonders reizvoll und interessant sein. Auch unsere Ausstellung wird oft verbunden mit eigenen kreativen Aktionen, die nicht selten zu Zusatz-Ausstellungen mit selbst gestalteten Bibelfliesen führen.
• Und wie geht’s weiter mit der Arbeit an Bibelfliesen?
Die Wanderausstellung „Mit Bilderfliesen durch die Bibel” wandert weiter, sie wird von uns gebracht, aufgebaut – demnächst übrigens zum 90. Mal seit 2003 – und wieder abgeholt, oft verbunden mit einem Vortrag und/oder einer „Fliesenpredigt“. Nur die Kosten für Transport und Versicherung sind von den Ausstellenden aufzubringen. Ein Projekt-Förderbeitrag ist freiwillig. Wer die Ausstellung haben will, wird sie bekommen. Das ist unser Grundsatz. Allerdings ist sie bereits jetzt bis Ende 2016 durchgehend ausgebucht. Nach Norden, Burgsteinfurt, Emsdetten sind zusätzlich noch weitere Dauer-Bibelfliesen-Präsentationen geplant – ebenso wie ein Bildband „Bibelfliesen in Emsdetten“. Außerdem sind wir mit zwei Motiven an dem Projekt „Westfälische Bilderbibel“ des Amtes für Missionarische Dienste der westfälischen Landeskirche beteiligt.
• Fliesenbibel. Altes und Neues Testament mit ausgewählten Spätschriften des Alten Testaments und biblischen Darstellungen auf Fliesen seit dem 17. Jahrhundert. Verlag H. Risius, Weener 2012, 34,90 Euro, ISBN 978-3-88761-103-3, info@rheiderland.de; Bibelfliesen – eine pädagogische Entdeckung. Comenius-Institut, Münster 2015, 17,50 Euro, ISBN 978-3-943410-18-1, www.comenius.de; www. fliesenbibel.de; Kontakt Kurt Perrey: Telefon (0 25 72) 9 59 95 80.