Text und Fotos: Heinz-Joachim Lohmann
„Thank you, lord, for giving us food, right where we are.“ – Danke, Gott (Herr, Jesus, Jesus Christus), dass Du uns Essen gibst, egal wo wir uns befinden. So singt die Regenbogengruppe vor jeder Mahlzeit in Englisch, um dann auf Deutsch anzuschließen: Fröhlich sei das …essen. Smacznego (Polnisch: Guten Appetit). Alles abgeschlossen von einem Gemeinsamen an der Hand fassen im Kreis und begleitet von einer Bewegung, die den Griff an die Hosenträger der Blaumänner der mennonitischen Arbeiter kanadischer Felder auf dem zufriedenen Weg in die wohlverdiente Mittagspause imitiert. Dieses Ritual entwickelte sich im Lauf der Projekte aus der Addition von Traditionen der Teilnehmenden. In Israel bestanden am Anfang Hemmungen, den aus dem christlichen Kontext kommenden Essensbeginn auf ein trireligiöses Programm zu übertragen. Nachdem Rolf Martin den Ursprung aus der Geschichte von Regenbogen erklärte, waren alle einverstanden, das gemeinsame Essen so zu beginnen.
Religion und Glauben spielen im Projekt eine wichtige, nicht ganz einfach zu beschreibende Rolle. Das Symbol des Regenbogens übersetzte Nelson Mandela in das friedliche, harmonische und fruchtbare Zusammenleben einer Vielzahl von Menschengruppen in Südafrika. In der biblischen Tradition ist es das Zeichen der Versöhnung nach der Flut und zugleich die Formulierung des Grundsatzartikels eines Bundes: Vernichtung als Strafe soll nicht mehr sein. So organisieren Jugendliche aus ganz verschiedenen Herkunftsgesellschaften für drei Wochen ein gemeinsames Zusammenleben, teilen die zentralen Aufgaben unter sich auf, sprechen über die Dinge, die sie am meisten bewegen und leben in dem Grundkonsens als Teile der einen Menschheit zusammenzugehören. Sie arbeiten an etwas, das größer ist als sie selbst. So lautet vielleicht auch die einfachste Definition von Religion, ein Bewusstsein zu haben, dass es etwas gibt, das größer ist als das eigene Selbst.
Mehmet, ein Kurde, dessen Imbiss in Rheinsberg mehrmals von Neonazis angezündet wurde, sagte einmal während einer Autofahrt zu mir: „Ich verstehe nicht, warum uns Gott so unterschiedliche Regeln gibt und es fällt mir schwer zu glauben, dass er Euch andere Dinge erlaubt als uns.“ Die Unterschiede in zentralen Fragen sind schon innerhalb einer Konfession schwer zu begreifen, wirken sich innerhalb des gleichen Glaubens massiv aus und bilden tiefe Gräben im Zusammenleben verschiedener Religionen. Im Projekt bildet der Regenbogen das Bewusstsein des gemeinsamen größeren Zusammenhangs ab, der zwar mit Worten schwer zu formulieren, aber lebbar und erlebbar ist. Das Ritual vor dem Essen stellt einen sicht(und vor allem hör-)baren Ausdruck davon dar. Die christliche Form kann dazu benutzt werden, weil sie sich in der Projektgeschichte entwickelte und dadurch auch den Geist der Gruppe(n) abbildet.
In dieser letzten Aktion erinnern wir uns häufig an die erste in Soweto. Damals sangen die Südafrikanerinnen und Südafrikaner gerne und häufig die neue Nationalhymne. Sie war der Ausdruck von Befreiung und Gemeinschaft, der gleiche Text in vier Sprachen, darunter auch Afrikaans, die Sprache der ehemaligen Unterdrücker. Ein wirkliches Zeichen des Neuanfangs, der Freiheit und des Zusammenlebens. Für uns Deutsche hingegen hatte unsere Nationalhymne keine Bedeutung. Sie verband eine verstaubte Melodie mit einem Text, der keine positiven Emotionen weckt. Zu unserer Hymne entwickelte sich „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“. Das sangen wir als wir in Johannesburg aus dem Flugzeug stiegen und es kam immer wieder als Antwort auf „Nkosi sikelel ´i Afrika“ – Gott segne Afrika. In diesem Lied drückte sich für uns die Sehnsucht nach Weite und Grenzüberwindung aus. Indem wir es sangen, dokumentierten wir den Zusammenhang von Ost und West in einer gemeinsamen Hoffnungsperspektive.
Am vergangenen Freitag feierten wir die Taufe zweier Kinder im BUGA-Pavillon und in der Havel. Lotte ist die Enkelin von Klaus und Claudia. Sie nahm in der ersten Woche am Geschehen teil und wünschte sich die Exodusgeschichte als biblischen Bezug. Juden, Muslime und Atheisten erschienen vollständig zum Gottesdienst und feierten mit. Rolf hatte alle gebeten, eine Flasche Wasser aus ihrem Herkunftsortmitzubringen, die vor der Taufe in die Havel entleert wurde. Ein Zeichen dafür, dass Wasser mit den Augen nicht mehr zu unterscheiden ist, wenn es zusammenfließt und trotzdem wissen wir, dass im Moment der Taufe Wasser aus vielen Gegenden der Welt in der Havel ist.
Unseren Besuch in Sachsenhausen beenden wir mit einer Zeremonie an den Massengräbern. Amir zitiert ein Gedicht, das in Israel zum Shoah-Gedenken gehört und in dem es heißt: Von allen menschlichen Familien wurde die gesamte Versammlung der Juden zusammengebracht, um auf der Erde von Europa geschlachtet zu werden vom Nazi-Vernichter….Erlaube uns keinen Frieden, keinen Frieden bis unsere Leben ihrer Erinnerung wert sind.“ Johanna schildert die persönliche Auseinandersetzung mit der Naziherrschaft in ihrem Leben. Elisabeth schlägt eine symbolische Handlung vor. Jede/r soll ein kleines Holzstück vom Untergrund des Spielplatzes an einer Stelle niederlegen als Zeichen der Gegenwart und der Erinnerung. Zum Abschluss singen wir eine Bitte um Frieden in Arabisch und Hebräisch. Prof. Morsch sagt, dass beim Besuch von gemischten Gruppen aus arabischen und jüdischen Israelis in Sachsenhausen das Zusammensein bei der Interpretation des Holocaust für die Gegenwart normalerweise endet. Ein verbindendes Ritual der erinnernden Trauer lässt nach einem heftigen Streit die Option aufleuchten, dass vielleicht doch ein Kompromiss für unüberbrückbare Positionen möglich ist.
Was Gemeinsamkeit zum Ausdruck bringt, wird positiv aufgenommen. Alleinvertretungsansprüche haben keine Chance. Im Umgang mit Religion liegt die Chance, sich des eigenen Glaubens gewiss zu sein und offen für die Zusammenhänge mit anderen zu bleiben.