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Tabubruch

Hamburg will leere Immobilien vorübergehend beschlagnahmen. Anders sei die Unterbringung der vielen Flüchtlinge nicht möglich. Juristen sind sich uneins, ob der Staat das darf

KNA/Julia Rathcke

Die Idee scheint bestechend: Der Staat beschlagnahmt leer stehende Immobilien und gibt darin Flüchtlingen eine neue Heimat. Als erstes Bundesland hat Hamburg ein Gesetz beschlossen, leere Gewerbeimmobilien zumindest zeitweise zu beschlagnahmen, um dort Flüchtlinge unterzubringen. Schließlicht steht der Winter vor der Tür, die Unterbringung in Zelten ist da zu kalt und menschenunwürdig. Auch Bremen hat jetzt ein ähnliches Gesetz beschlossen (Kommentar Seite 5).

Die baden-württembergische Kleinstadt Eschbach bei Freiburg ging einen anderen Weg. Sie kündigte einer Mieterin einer Gemeindewohnung, um dort Flüchtlinge unterzubringen. Beschlagnahme von leer stehenden Immobilien und Kündigung von Mietwohnungen zur Unterbringung von Flüchtlingen. Darf der Staat das? „Auch in kleinen Gemeinden in Nordrhein-Westfalen gibt es Einzelfälle, wo kommunale Mietwohnungen gekündigt wurden“, sagte Ulrich Ropertz, Geschäftsführer des Deutschen Mieterbundes. Nach seiner Auffassung ist dies rechtswidrig.
Kommunen könnten für ihre vermieteten Wohnungen keinen Eigenbedarf geltend machen. Dies sei nur natürlichen Personen erlaubt. So bleibe ihnen nur noch das Argument, „aus berechtigtem Interesse“ zu kündigen. Hier lägen die Hürden für eine Mietkündigung aber sehr hoch, zumal ja auch die bestehenden Mieter ein Recht auf ein Dach über dem Kopf hätten, sagte Ropertz.
„Es gibt schließlich den Grundsatz, Mietverträge einzuhalten“, erklärte der Mietrechtsexperte. Der Bund versäume es seit Jahren, bezahlbaren Wohnungsbau angemessen zu fördern. Nun sei die Misere angesichts des Zustroms von Flüchtlingen besonders groß.
Dies bestätigte auch Franz-Reinhard Habbel, Sprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. „Der Bund hat jetzt 500 Millionen Euro für den Wohnungsbau zur Verfügung gestellt“, sagte Habbel. Gebraucht würden jedoch zwei Milliarden Euro. In den nächsten fünf Jahren würden jedes Jahr 400 000 neue Wohnungen benötigt.
Der Schritt Hamburgs, durch ein neues Gesetz leere Immobilien befristet für die Unterbringung von Flüchtlingen beschlagnahmen zu können, begrüßte Habbel. „Ich glaube schon, dass das etwas bringen wird.“ So könnten Kommunen im Notfall auf Lagerhallen oder Baumärkte ausweichen. Die zwangsweise Einquartierung von Flüchtlingen in Privatwohnungen sei nach seiner Überzeugung jedoch nicht zu befürchten.
Der Hauseigentümerverband „Haus und Grund“ erklärte Beschlagnahmeaktionen von leer stehenden Immobilien als „kontraproduktiv“. „Wir setzen vielmehr auf Freiwilligkeit“, sagte Haus-und-Grund-Sprecher Alexander Wiech. Viele Eigentümer würden von sich aus leer stehenden Wohnraum oder größere Immobilien zur Unterbringung von Flüchtlingen anbieten.
Mit der Androhung von Zwangsmaßnahmen bestehe die Gefahr, dass die Hilfsbereitschaft vieler Menschen zurückgeht. Hilfreich wäre es, wenn Kommunen sich als Mieter und damit als Vertragspartner anbieten, um die Flüchtlinge in leer stehenden Immobilien unterbringen zu können, sagte Wiech.
Die Beschlagnahmung von Wohnraum sei nach dem Polizei- und Ordnungsrecht nur im Einzelfall bei einer Gefährdungssituation und nur als letztes Mittel möglich, so Wiech. Dabei müssten Kommunen abwägen zwischen dem Schutz des Einzelnen vor Obdachlosigkeit und dem im Grundgesetz geschützten Eigentumsrecht. Hamburgs neues Gesetz ist für den Vertreter des Hausbesitzerverbandes „ein Eingriff in das Eigentumsgrundrecht“. Wiech befürchtet, dass es nicht bei der Beschlagnahmung von gewerblichen Immobilien bleiben wird.