Von Anfeindungen und sogar Morddrohungen ließ er sich nicht beeindrucken. Wenn man den Publizisten Ralph Giordano in seiner Kölner Wohnung anrief, hatte man ihn in der Regel direkt am Telefon. „Sich dem rechten Ungeist beugen?“, entgegnete er auf die Frage, ob er seine Telefonnummer nicht aus dem öffentlichen Telefonbuch streichen lassen wolle. „Kommt überhaupt nicht infrage!“. Bis zuletzt blieb Giordano, der den Terror der Nationalsozialisten in einem Versteck in Hamburg überlebte, ein aufrechter Mahner und Warner. Vor 100 Jahren, am 20. März 1923, wurde der Autor und Journalist geboren. Er starb 2014 im Alter von 91 Jahren.
Der Mann mit der weißen vollen Mähne war so etwas wie ein lebendes Mahnmal gegen die Gefahr von rechtsaußen. Bestätigt wurden Giordanos Warnungen, als herauskam, dass die Rechtsextremisten des NSU jahrelang unbehelligt eine blutige Spur des Terrors durch Deutschland ziehen konnten. Auf diese Genugtuung, recht gehabt zu haben, hätte er gerne verzichtet, sagte er damals dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Roman „Die Bertinis“ verfilmt
Er kam in Hamburg als Sohn einer jüdischen Klavierlehrerin und eines Musikers mit sizilianischen Vorfahren zur Welt. Um die Mutter vor der Deportation zu bewahren, tauchte die Familie in die Illegalität ab. Die Befreiung durch die britische Armee erlebte Giordano im Mai 1945 mit seinen Eltern und seinen beiden Brüdern in einem feuchten Hamburger Kellerversteck voller Ratten. Die Geschichte seiner Familie hat er im Roman „Die Bertinis“ (1982) verarbeitet, der vom ZDF verfilmt wurde.
„Erinnerungen eines Davongekommenen“ nannte er seine 2007 veröffentlichte Biografie. Darin schrieb er auch von seinem „Schlüsselerlebnis“: Die „Befreiung von der Angst vor dem jederzeit möglichen Gewalttod, weil ich eine jüdische Mutter hatte“. Noch bis in seine späten Lebensjahre sei er morgens mit der Frage aufgewacht: „Ist es wahr – lebst du, lebst du wirklich?“
Leidenschaftlicher Demokrat
er frühere Bundespräsident Joachim Gauck würdigte den Schriftsteller und Publizisten als „wortgewaltigen und streitbaren Aufklärer“ und „leidenschaftlichen Demokraten“. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ nannte ihn einen „Spezialisten der Streitbarkeit“. Mit seinem solidarischen Blick für Minderheiten und sozial Schwache habe Giordano immer wieder die „Internationale der Einäugigen“ angeprangert. Das waren nach dem Verständnis Giordanos Menschen, die politisch auf dem rechten oder dem linken Auge blind seien.
„Hitler war zwar militärisch geschlagen, aber nicht geistig“, stellte der Publizist schon bald nach 1945 fest. Für ihn war das einer der Gründe, in Deutschland zu bleiben. „Ich bin angenagelt an dieses Land“, bekannte er wiederholt. In unzähligen Artikeln, Fernsehreportagen und Büchern hat sich Giordano mit dem Nationalsozialismus und seinen Folgen befasst. Für seine besonderen Verdienste um die Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit erhielt er 1990 das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse, 2009 das Große Bundesverdienstkreuz.
Finger in manche Wunde gelegt
Als Fernsehjournalist legte er mit seinen Reportagen den Finger in manche Wunde: Welthunger, die deutsche Kolonialzeit in Afrika oder der Völkermord an den Armeniern waren Themen seiner mehr als 100 Reportagen. Das Spektrum seiner Bücher reicht von Ostpreußen über die DDR bis zu Israel.
Kritikern wie Freunden hat es Giordano nicht leicht gemacht. Schon in der Nachkriegszeit erkannte er, dass die Feinde seiner Feinde nicht automatisch Freunde sein müssen. Diese Erkenntnis ließ ihn in den 1950er Jahren mit der DDR und später auch mit der KPD brechen. „Menschenrechte sind nicht teilbar“, war sein Credo.
Auch im hohen Alter mischte er sich couragiert ein. Es gebe noch genügend Dinge, die ihn „sofort auf die Palme bringen“, sagte er dem epd vor seinem 90. Geburtstag im Jahr 2013. „Da kann ich mich nicht ändern und will es auch nicht.“
Gegen den Bau der Kölner Ditib-Moschee
In die Kritik geriet Giordano, als er 2007 gegen den Bau der seiner Meinung nach überdimensionierten Kölner Ditib-Moschee öffentlich Stellung bezog. Die Integration der muslimischen Minderheit halte er für gescheitert. Seine Kritik, betonte er jedoch, richte sich nicht gegen die Muslime, sondern gegen den „politischen Islam“.
ArbeitenBis zuletzt arbeitete der mehrfach verwitwete Giordano mit eiserner Disziplin: Bis nachmittags um vier las, studierte und schrieb er, wie er erzählte. Dann gönnte er sich eine Tasse Tee mit Zitrone. Und sobald die Sonne schien, setzte er auf seiner Terrasse seine sorgsam gehüteten Dampflokomotiven in Bewegung.
Streitbarer Publizist
An den streitbaren Publizisten erinnert seit 2017 in Hamburg-Barmbek ein Ralph Giordano Platz. Auch der nach seinem Roman benannte Bertini-Preis für Zivilcourage wird bis heute jedes Jahr an Hamburger Schüler vergeben – jeweils am 27. Januar, dem Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus.