Der “Spiegel” hat mit einem Festakt in Hamburg seinen Gründer und langjährigen Herausgeber Rudolf Augstein (1923-2002) zu dessen 100. Geburtstag geehrt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier appellierte dabei an die Medien, sich nicht eine Kultur der Dauerempörung zu eigen zu machen. “Lassen Sie nicht zu, dass in unserer Demokratie die Lauten über die Nachdenklichen siegen”, sagte Steinmeier in seiner Festrede im Hamburger “Spiegel”-Gebäude: “Bleiben Sie unterscheidbar von den sozialen Medien!”
Dass die Medien weiter öffentliche Räume herstellten, in denen sich die Gesellschaft über sich selbst verständigen könne, sei unverzichtbar für die Demokratie, so der Bundespräsident. Medien und der Journalismus stünden heute vor enormen Herausforderungen. Elektronische Medien und die Sozialen Netzwerke hätten “zu einer Beschleunigung des Nachrichtengeschäfts geführt, die Rudolf Augstein und seine Generation von Journalisten wohl in den Bereich von Science-Fiction verwiesen hätten”, so Steinmeier. Daher sei es wichtig und richtig, sich auf Augstein und seine Werte zu besinnen. Der “Spiegel”-Herausgeber sei dabei nicht nur “Geburtshelfer für eine freie Presse”, sondern auch “Akteur im Machtgefüge der Republik” gewesen.
“Spiegel”-Chefredakteur Dirk Kurbjuweit erinnerte an die “Spiegel”-Affäre 1962. “Als ich zur Welt kam, saß Rudolf Augstein im Gefängnis”, sagte der 1962 in Wiesbaden geborene Kurbjuweit. “Wir sind stolz, dass wir einen solchen Gründer haben.” Heute habe es der Spiegel “viel leichter als der Mann, der damals im Gefängnis saß. Und wir werden alles dafür tun, dass das nie wieder passieren kann.”
Augsteins Tochter Franziska und der ehemalige FDP-Minister Gerhart Baum erinnerten an den Menschen Rudolf Augstein und dessen kurzlebige Karriere als Bundestagsabgeordneter für die Freien Demokraten. “Er hatte intellektuelle Fantasie und war das Gegenteil von kleinlich”, so die Publizistin Franziska Augstein, die auch im Vorstand der Rudolf-Augstein-Stiftung sitzt. Dabei sei ihr Vater aber völlig unsentimental gewesen – mit Ausnahme des Films “Casablanca”: Den Klassiker mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman habe “er immer geschaut, bis die Marseillaise gespielt wurde. Dann musste er weinen und hat den Fernseher ausgestellt.”
Augsteins Ausflug in die Politik sei dagegen eher ein Missverständnis gewesen, sagte Baum. Der “Spiegel”-Herausgeber war bei der Bundestagswahl 1972 über die Landesliste NRW in den Bundestag eingezogen, hatte sein Mandat aber nach drei Monaten wieder niedergelegt. “Augstein war überhaupt kein Parteipolitiker”, so Baum: “Er konnte die Fraktion ja nicht so behandeln wie seine Redaktion.” Aber Augstein habe dennoch eine führende Rolle einnehmen wollen. “Er hat sich rührend bemüht, sein Wahlergebnis war ja auch kein großer Erfolg”, meinte Baum: “Im Wissen, dass es nichts werden würde, haben wir das fröhlich geduldet.” Augsteins publizistische Mission sei dagegen ungleich wichtiger gewesen. “Diese Demokratie wäre ohne Augstein und den ‘Spiegel’ nicht so, wie sie heute ist”, sagte Baum.