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Stark mit Aussicht

Ein zweiter „Werkstatt-Tag“ will die bisher gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen aus verschiedenen Regionen und Kirchen in Deutschland fruchtbar machen für einen eigenen westfälischen Weg

Seit 2008 begleitet die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) die Entwicklung ihrer ländlichen Räume mit der „Land-Kirchen-Konferenz“. Und seit zwei Jahren gibt es mit dem Netzwerk „Kirche im ländlichen Raum“ eine Plattform zum Erfahrungsaustausch und zur inhaltlichen Weiterentwicklung der ländlich geprägten Regionen und Gemeinden in der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW). Ein erster Werkstatt-Tag „Kirche in ländlichen Räumen“ des landeskirchlichen Instituts für Kirche und Gesellschaft (IKG) im Mai 2015 in Haus Nordhelle in Meinerzhagen-Valbert hat viele Gemeinden miteinander ins Gespräch gebracht. Im Vorfeld des zweiten vom IKG veranstalteten Werkstatt-Tages am 1. Juni in Unna-Lünern sprach Markus Mickein mit dem EKvW-Beauftragten für den ländlichen Raum, Superintendent Stefan Berk, und mit Volker Rotthauwe, theologischer Referent des IKG für Nachhaltige Entwicklung und für Fragen der Kirche im ländlichen Raum.

Herr Berk, Sie sind Superintendent in Wittgenstein und Beauftragter der Landeskirche für den ländlichen Raum. Welches sind für Sie die größten Herausforderungen für die ländlichen Kirchenkreise in unserer Landeskirche?
Die Kirchengemeinden sind in den Dörfern häufig die letzte Institution, die vor Ort noch vorhanden ist. Es gibt keine Einkaufsmöglichkeiten mehr, Banken haben geschlossen und die Postfiliale hat sich längst in den nächstgrößeren Ort zurückgezogen. Von uns erwarten die Menschen, dass wir da bleiben und weiter Orientierung und Sinn vermitteln. Die große Herausforderung wird darin bestehen, diese Aufgabe anzupacken, obwohl in den nächsten zehn Jahren weniger Geld als heute zur Verfügung stehen wird.

Herr Berk, Nachbarschaftshilfe wird ja auf dem Lande immer schon großgeschrieben. Wo sehen Sie die Chancen der ländlichen Regionen Westfalens?
Ich glaube, dass wir uns als evangelische Kirche in den ländlichen Regionen neu entdecken müssen. Es wird darum gehen, uns als Teil des Gemeinwesens zu verstehen, also mit anderen gesellschaftlichen Gruppen gemeinsam für Menschen da zu sein. Nur gemeinsam als Institutionen, als Vereine, als Handwerk, als Schulen kann die Zukunftsfähigkeit eines Dorfes gewonnen werden.
Das kann in einem solchen überschaubaren sozialen Raum auch gelingen, weil die Menschen sich untereinander kennen und bereit sind, viel Energie einzusetzen, um ihren Lebensraum attraktiv zu erhalten und zu gestalten. Ich bin mir sicher, dass wir hier als Kirche eine wichtige Rolle spielen. Das bedeutet aber auch, dass wir bereit sein müssen, mehr nach außen als nach innen zu denken. Die „Kirche im Dorf lassen“ bedeutet für mich, den Kirchturm als Aussichtspunkt für das große Ganze zu nehmen – und sich nicht hinter dicken Mauern zu verstecken.
Statt zu klagen, dass alles immer schwieriger wird und immer weniger Leute zu uns in die Kirchen kommen, wäre es gut zu fragen, wo das Evangelium von der Liebe Gottes in einem Dorf gehört werden kann. Es macht mich nachdenklich, dass an einem Jubiläums-Gottesdienst der Feuerwehr im Spritzenhaus dreimal so viele Leute teilnehmen wie an einem normalen Sonntags-Gottesdienst. Hier finde ich das häufig gebrauchte Stichwort der Vernetzung wirklich wichtig und angebracht.

Herr Rotthauwe, die westfälische Landeskirche ist an diesem Thema bereits seit mehreren Jahren dran. Beispielsweise mit dem Netzwerk „Kirche im ländlichen Raum“, das Sie koordinieren. Was kann ich mir darunter vorstellen?
Das Netzwerk hat sich 2014 gegründet, um ins Gespräch zu kommen über die spezifischen Herausforderungen der Gemeinden auf dem Land. Dafür gab es bis dahin noch keine Plattform zum Austausch, zur Vernetzung und zur konzeptionellen Weiterentwicklung. Außerdem möchte das Netzwerk die Arbeitsergebnisse der „Land-Kirchen-Konferenz“, die die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) 2008 ins Leben gerufen hat, weitergeben und in die westfälische Situation hinein übersetzen.
Das Netzwerk organisierte zudem 2015 erstmalig einen Werkstatt-Tag „Kirche im ländlichen Raum“, der aufgrund der großen Nachfrage am 1. Juni in Unna-Lünern eine Fortsetzung erfährt. Jürgen Schilling vom Projektbüro der Land-Kirchen-Konferenz wird die aktuelle Situation der ländlichen Kirchenregionen in Deutschland beschreiben und die Herausforderungen für die Zukunft skizzieren. Über die Auswirkungen des demographischen Wandels für die EKvW wird Marcel Temme vom IKG referieren und dann gibt es Zeit, Hoffnungsprojekte aus ländlichen Gemeinden Westfalens kennenzulernen und darüber ins Gespräch zu kommen.

Herr Berk, was erhoffen Sie sich von der Evangelischen Kirche von Westfalen, um die ländlichen Regionen zu stärken?
Ich glaube, dass die Initiativen in den ländlichen Räumen von der Landeskirche bewusst gestärkt werden sollten. Wir brauchen die Möglichkeit, Modellprojekte einzurichten und zu erproben. Mehr und mehr habe ich den Eindruck, dass die vorhandenen kirchlichen Strukturen für die neuen Herausforderungen nicht mehr genügen; es wäre gut, wenn wir so eine Art Labor-Situation zulassen und unterstützen würden, also bewusst auch Experimente zulassen sollten – auch mit dem Risiko, dass es hier oder da nicht funktionieren wird.
Es ist gut, dass die EKD hier vordenkt, so dass die Landeskirchen davon profitieren können.