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Slowakische Regierung attackiert Kultursektor – Entlassungswelle

Im EU-Mitgliedsland Slowakei tobt ein Kulturkampf. Die Regierung verlangt slowakische Kunst – und “sonst nichts”. Nun wehren sich Kulturvertreter gegen die strikten Vorgaben aus Bratislava.

Entlassungen, Kürzungen, Zensur: “Fast jeden Tag erreicht uns eine neue schlechte Nachricht aus dem slowakischen Kulturministerium”, sagt Matej Drlicka. Von seinem Büro auf einem Hügel der Hauptstadt Bratislava blickt der Kulturmanager auf die Donaumetropole hinab. Irgendwo dort unten sitzt die zuständige Ministerin Martina Simkovicova – und macht ihm und anderen Kulturschaffenden die Arbeit schwer. Mit einer zweitägigen Konferenz starten die Kreativen jetzt einen Hilferuf an die Europäische Union.

Die slowakische Kulturszene steckt tief in der Krise. Voriges Jahr geriet Ministerin Simkovicova für eine Entlassungswelle an staatlichen Museen, der Nationalgalerie und dem Nationaltheater unter Kritik. Ziel ist es laut Beobachtern, die erfahrenen Vertreter durch regierungstreue Funktionäre zu ersetzen. Kulturförderungen wurden teilweise eingestellt oder verzögern sich ins scheinbar Endlose.

Laut Drlicka wird auf diese Weise “alles verbannt, was modern, zeitgenössisch und progressiv ist”. Auch vor NS-Vergleichen schreckt er nicht zurück: Die Situation erinnere ihn an Deutschland und Österreich in den 1930er Jahren. Beängstigend sei, dass die Ministerin des Junior-Partners in der Regierungskoalition die Unterstützung von Ministerpräsident Robert Fico genieße. “Ihre Slowakische Nationalpartei zeigt alle Anzeichen einer rechtsextremen Partei”, meint der Manager. Die Kulturbranche kritisiere dies, weshalb sie ins Visier der Regierung gerückt sei. Simkovicova selbst hatte voriges Jahr erklärt: “Slowakische Kultur muss slowakisch sein – und sonst nichts.”

Für Drlicka, Organisator des größten jährlichen Musikfestivals in Bratislava, ist der Kampf für einen freien Kultursektor zu einer persönlichen Auseinandersetzung geworden. Im August hatte die Ministerin den 49-Jährigen ohne triftigen Grund als Direktor des slowakischen Nationaltheaters abgesetzt. Mit der “Open Culture International Conference” wollen er und seine Plattform “Otvorena Kultura” (“Offene Kultur”) auf die schwierige Situation aufmerksam machen. Zu einem Gipfel am 29. und 30. Mai werden führende Vertreter der europäischen Kulturszene in Bratislava erwartet, darunter Manos Tsangaris, Präsident der Berliner Akademie der Künste, und Milo Rau, Intendant der Wiener Festwochen.

Eine Frage, der die Expertenvorträge nachgehen werden: Wie überlebt progressive Kunst in repressiven Regimen? Kritiker werfen Kulturministerin Simkovicova in diesem Zusammenhang vor, sich zunehmend an ihren Amtskollegen in Russland und Belarus zu orientieren. “Unsere Regierung versucht, uns so schnell wie möglich dorthin zu bringen”, sagt Drlicka. Tatsächlich sucht Regierungschef Fico die Nähe zu Russland: Als einziger EU-Regierungschef reiste er kürzlich zur Gedenkfeier anlässlich des Weltkriegsendes nach Moskau. Schließlich dürfe man keinen “neuen Eisernen Vorhang” aufziehen, so Ficos Begründung. Jüngst erklärte er zudem das Modell einer liberalen Demokratie für “schrecklich ineffektiv”, wie slowakische Medien berichten. Stattdessen sollte man sich ein Beispiel an der “wirksamen Regierungsführung” Chinas nehmen.

Drlicka berichtet, was das in der Praxis bedeute: Internet-Trollfarmen, die Kulturaktivisten gezielt verunglimpfen, eine “schwarze Liste”, die entlassene Kulturfunktionäre in Gelegenheitsjobs wie Taxifahrer treibe. All das sei längst Realität in der Slowakei. Mit der bevorstehenden zweitägigen Konferenz will der Regierungskritiker die EU wachrütteln. Ziel sei ein Schutz der Kunstfreiheit sowie der Kulturschaffenden nach dem Vorbild des europäischen Medienfreiheitsgesetzes von 2024. Die EU müsse dem Kultursektor ähnliche Rechte zugestehen wie im vergangenen Jahr Medien und Journalisten, fordert Drlicka: “Die EU braucht diese Gesetze. Nicht bloß, um künstlerische Freiheit sicherzustellen, sondern auch für kompetente Führung und Finanzierung.” Entsprechende Forderungen wollen die Konferenzteilnehmer in einer “Deklaration von Bratislava” festhalten.

Einen ersten Teilerfolg sieht der Kulturmanager in einer Videobotschaft von EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola, in der sie ihre Solidarität bekundete. Dennoch wünscht Drlicka sich mehr Einsatz. Sich in die Kulturpolitik der Mitgliedstaaten einmischen? Das gelte in Brüssel immer noch als Tabu. Dabei erfordere die Politik Ficos, Viktor Orbans und anderer Populisten in Europa dringend ein Umdenken: “Kunstfreiheit ist einer der Grundpfeiler der EU. Wenn wir zulassen, dass bestimmte Politiker den Kultursektor zerstören und einschränken, hat die Europäische Union bald ein gewaltiges Problem.” Das slowakische Kulturministerium wollte sich zu diesen Vorwürfen indes nicht äußern – eine Anfrage blieb unbeantwortet.