Artikel teilen:

Seit 75 Jahren bahnen Frauen sich ihren Weg im Bundestag

Der aktuelle Bundestag ist zwar jünger und weiblicher als der davor, aber es gibt immer noch Nachholbedarf. Denn im internationalen Vergleich schneidet Deutschland nicht gut ab.

Spitzenreiter ist Ruanda, Schlusslicht der Jemen, wenn es um den Anteil von Frauen im Parlament geht. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes vom Februar dieses Jahres nimmt das ostafrikanische Land mit einem Frauenanteil von 61,3 Prozent die Spitzenposition im internationalen Vergleich ein. In der Europäischen Union haben das schwedische (46,7 Prozent) sowie das finnische Parlament (46,0 Prozent) die höchsten Frauenquoten.

Deutschland findet sich auf Platz 47 wieder. Im Deutschen Bundestag liegt laut Statischem Bundesamt der Frauenanteil in der aktuellen Wahlperiode bei 35,3 Prozent. Das sind immerhin rund 4 Prozentpunkte mehr als am Ende der vorhergehenden Wahlperiode. Im aktuellen Bundestag sitzen die meisten Frauen für die Grünen im Parlament; bei der AfD ist der Frauenanteil am niedrigsten.

Das ist ein großer Fortschritt im Vergleich zu dem ersten Bundestag, der am 7. September 1949, vor 75 Jahren, zusammentrat. Von 410 gewählten Abgeordneten waren damals gerade einmal 28 Frauen, ein Anteil von 6,8 Prozent. Das entsprach damals keineswegs den Verhältnissen in der Bevölkerung, denn die Mehrheit der Deutschen war weiblich. Viele Männer waren im Krieg gefallen oder befanden sich noch in Kriegsgefangenschaft.

Natalie Weis schreibt in dem jüngst veröffentlichten Buch über die ersten Frauen im Deutschen Bundestag, in den vier Besatzungszonen habe es sieben Millionen mehr Frauen als Männer gegeben, und die Zahl der wahlberechtigten Frauen habe neun bis zehn Prozent höher gelegen als die der Männer. Frauen waren damals also keineswegs angemessen repräsentiert.

Der CSU-Politiker Michael Horlacher, Mitglied des Parlamentarischen Rates und Präsident des Bayerischen Landtages 1949, ließ die Bemerkung fallen: “Als Einzelne wirkt die Frau wie eine Blume im Parlament, aber in der Masse wie Unkraut.” Einfach hatten es die ersten Frauen also nicht, obwohl sie über viel Erfahrung verfügten. Schließlich war ein Teil von ihnen schon in der Kaiserzeit politisch aktiv – in Vereinen, Parteien oder Parlamenten aktiv. Andere engagierten sich ab der Weimarer Republik, bis es zu dem Bruch durch die NS-Zeit und den Krieg kam.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hätten Frauen wie Helene Wessel (Zentrumspartei), aber auch Helene Weber von der CDU, Louise Schroeder (SPD) und Marie-Elisabeth Lüders (FDP) oder Elly Heuss-Knapp an die Traditionen und Werte angeknüpft, die ihnen als junge Frauen wichtig waren: Demokratie, Freiheitsgedanke und Gleichberechtigung, sagt Autorin Heike Specht. “Sie haben erkannt, dass der jungen Bonner Republik diese Werte vermittelt werden mussten und haben sich dann nochmal eingebracht”, erklärte Specht im vergangenen Jahr im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Die Autorin hat 2022 ein Buch über Frauen in der Politik mit dem Titel “Die Ersten ihrer Art” veröffentlicht. Da sie auch auf der Social Media Plattform X (früher Twitter) eine aktive Präsenz zeigt, wenn es um die Rechte von Frauen geht, wird sie immer wieder auf neue Erste aufmerksam gemacht.

Im Deutschen Bundestag wurde Helene Wessel (1898-1969) als erste Frau in der deutschen Parteiengeschichte zur Vorsitzenden einer Partei gewählt, als sie 1949 den Parteivorsitz der damals auch im Bundestag vertretenen Zentrumspartei übernahm. Sie bekam erst rund 30 Jahre später, Anfang der 1980er Jahre, eine Nachfolgerin in Petra Kelly, die Vorsitzende der Grünen wurde.

Elisabeth Schwarzhaupt (1901-1986) war die erste Bundesministerin, die 1961 – zwölf Jahre nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland – ins Amt berufen wurde. Und das auch nur, weil die Frauen in der CDU enormen Druck auf den damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer ausgeübt hatten. Sie hatten es satt, von ihm immer weiter vertröstet zu werden.

Annemarie Renger (1919-2008, SPD) war von 1972 bis 1976 Präsidentin und von 1976 bis 1990 Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Damit war sie die weltweit erste Präsidentin eines demokratisch gewählten Parlaments. Sie habe sich selber für das Amt vorgeschlagen, berichtete sie später. “Glauben Sie, man hätte mich gefragt?”

Angela Merkel (CDU) war von November 2005 bis Dezember 2021 Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. “Nächster, echt überfälliger Schritt wäre meines Erachtens eine Bundespräsidentin”, meint Heike Specht. Sie schaut momentan mit großem Interesse in die USA, wo sich gerade eine Frau anschickt, die ultimative Herausforderung zu nehmen: Kamala Harris möchte Präsidentin der Vereinigten Staaten zu werden.