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“Sein Mut, sich gegen Menschenverachtung zu stellen”

Im Arresthof des Konzentrationslagers Flossenbürg erschossen und erhängten die Nazis insgesamt mehr als tausend Menschen. Allein im letzten Kriegsjahr tötete die SS dort Hunderte von Männern, aber auch Frauen und Kinder. Einer von ihnen war der Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer (1906-1945). Am 9. April jährt sich sein Todestag zum 80. Mal: Zum Gedenken an ihn und andere Widerstandskämpfer hält der evangelische Regionalbischof Klaus Stiegler am Mittwoch auf dem Arresthof eine Andacht. An diesem Ort täten sich für ihn Abgründe auf, sagte der Kirchenleitende im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).

epd: Herr Stiegler, wie geht es Ihnen bei dem Gedanken, an einem Ort, an dem die dunklen Kräfte der Menschheit so menschenverachtend wirkten, eine Andacht zu halten?

Klaus Stiegler: Diese Erinnerung erschüttert mich. Es ist unfassbar und unvorstellbar, was Menschen anderen Menschen antun können, aus nationaler Verblendung, aus Rassenwahn und Unmenschlichkeit. Dieser Abgrund wird für mich dort spürbar – bis in die eigenen Emotionen hinein.

epd: Bonhoeffer und sein Widerstand gegen die Nazi-Tyrannei waren das Gegenteil: Bei ihm kamen die „guten Mächte“ zum Tragen, wie es sein Gedicht bezeugt. Welche Bedeutung hat Bonhoeffer für die evangelische Kirche?

Stiegler: Bei all den Veränderungen des 21. Jahrhunderts, die wir derzeit erleben, ist es ein Schatz und etwas Kostbares, sich an diese dunkle und finstere Stunde und an die Lebensgeschichte von Dietrich Bonhoeffer zu erinnern. An den Mut, sich gegen Unmenschlichkeit und Menschenverachtung zu stellen – aus dem christlichen Glauben heraus und in Verantwortung für das Leben in dieser Welt. Dass er das am Ende sogar mit dem eigenen Leben bezahlt hat, auch das ist unfassbar. Er hat es auf sich genommen und seinen Glauben bis in die letzte Konsequenz gelebt, indem er für Menschlichkeit, Menschenwürde und für das Leben eingetreten ist.

epd: Seine Grundhaltung musste er mit dem Leben bezahlen. Trotzdem sind Menschen bis heute von ihm fasziniert. Woran könnte das liegen?

Stiegler: Das ist die Faszination der Standhaftigkeit, sich für die eigene Überzeugung bis zum Letzten einzusetzen. Es geht nicht nur darum, dass ein Mensch sich selbst treu bleibt, sondern dass er dem treu bleibt, wie Christus auf das Leben geschaut hat: Jeder einzelne Mensch – egal welcher Kultur und Religion – ist ein Ebenbild Gottes. Das gilt es zu schützen, zu achten und es gilt, sich dafür einzusetzen.

epd: Das Europa von damals ist ein anderes als heute: Was hat uns Bonhoeffer ins Stammbuch für die aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten geschrieben?

Stiegler: Den Respekt vor jedem einzelnen Menschen, vor jeder Kultur und Religion, aber eben keine Nationalismen oder autokratische Tyranneien, sondern die Sorge um das solidarische Zusammenleben und den Einsatz dafür. Dass sich das Zusammenleben nicht von selbst organisiert, sondern dass wir Kräfte brauchen, die sich dafür einsetzen und gebunden sind an Werte, für die der christliche Glaube die Richtung weist.

epd: Wir erleben derzeit eine feindliche Übernahme des Gedenkens durch antidemokratische Kräfte der Autokratie. Im Arresthof hängt seit 2019 eine Gedenktafel, unterzeichnet vom damaligen und heutigen US-Präsidenten Donald Trump. Was hätte Bonhoeffer dem entgegengehalten?

Stiegler: Bonhoeffer hat gesagt: „Nur wer sich für die Juden einsetzt, darf auch gregorianisch singen.“ Heute würde er vielleicht sagen: Nur wer sich für Menschlichkeit, Menschenwürde und den Zusammenhalt in der Gesellschaft einsetzt, der darf gregorianisch singen. Und nur der darf auch Bonhoeffers Gedanken rezipieren. (1202/08.04.2025)