Artikel teilen

Schriftstellerin Zeh sorgt sich um Funktionieren von Demokratie

Sie lebt in einem Dorf in Brandenburg und analysiert die Politik aus dem Blickwinkel der ländlichen Bevölkerung. Für Juli Zeh ist es wichtig, dass die Demokratie handlungsfähig ist und die Probleme der Menschen löst.

Die Schriftstellerin Juli Zeh sorgt sich um das Funktionieren der Demokratie. “Momentan ist meine größte Sorge, was passiert, wenn die nächsten Wahlen zu Situationen führen, in denen das Regieren immer schwieriger bis unmöglich wird. Dann haben es die Rechtspopulisten immer leichter zu sagen: Guck mal, ‘die da oben’ kriegen es nicht hin, das sind alles Idioten”, sagte die in Brandenburg lebende Juristin im Interview des Magazins “Cicero”. “Und das gibt dann noch mehr Zulauf für die Populisten. Man sieht es ja jetzt schon an der teilweise dysfunktionalen Ampel.”

Die Bürger seien wütend, wenn der Staat zu viele Vorschriften mache, sagte die 50-Jährige. “Das Gefühl der Überregulierung und Übergriffigkeit der Politik ist das, was viele zur AfD treibt. Es herrscht eine Art Trotz vor: Wenn ihr euch schon nicht überlegt, was unsere Bedürfnisse sind und was hier politisch wichtig wäre, dann lasst uns wenigstens in Ruhe.” Für alle, die in der Landwirtschaft oder im Handwerk arbeiteten, sei der Wust aus Vorschriften eine riesige Belastung. Als Beispiel nannte sie auch das Reizthema Heizungsgesetz: “Für arme Haushalte sind Heizen und Energie ein existenzielles Problem. Manche Menschen machen Holz, um dadurch die Heizkosten zu reduzieren. Es geht für die Leute wirklich um was.”

Zeh, die SPD-Mitglied ist, warnte vor einer “pädagogischen Politik”. Grünen-Politiker Robert Habeck und viele andere Politiker glaubten, dass ihre Aufgabe darin bestehe, den Leuten ständig etwas zu erklären, sie abzuholen, mitzunehmen. Dieser Ansatz gehe letztlich davon aus, dass die Bürger nichts verstünden oder irgendwie renitent seien. “Ich entgegne jedes Mal: Ihr müsst nicht besser kommunizieren, ihr müsst bessere Politik machen.”

Die Schriftstellerin plädierte für differenziertes Denken: Nicht jeder, der Zuwanderung kritisch sehe, werde auch mit dem Baseballschläger die Scheiben eines Dönerladens einschlagen. “Wenn wir uns der Komplexität des Problems nicht stellen und alle AfD-Wähler als Neonazis framen, bekommt die AfD immer mehr Zulauf.” Auch in der Debatte um den Ukraine-Krieg dürften diejenigen, die für Verhandlungen plädierten, nicht einfach als Putin-Versteher runtergemacht werden. “Denn das Plädieren für den diplomatischen Weg hat nichts mit Verharmlosung zu tun. Es ist eine konkrete und wichtige Handlungsalternative.”

Auch Sicht der Schriftstellerin fühlen sich viele Menschen von den zahlreichen, sich überlappenden Problemen überfordert. “Es ist in den westlichen Gesellschaften sehr vieles weggefallen an Orientierung von höheren Quellen, die irgendwie das Individuelle übersteigen, nennen wir es Schicksal oder nennen wir es Gott.” Der Einzelne fühle sich immer allein mit seinen Entscheidungen, die ganze Last der Welt ruhe auf seinen Schultern. “In einer solchen Situation fangen Menschen an, sich nach einer Form von Führung zu sehnen, die Demokratie nicht bieten kann und will.”