Weihrauch hängt in der Luft. Aus rauen Männerkehlen tönt Gesang, monoton, endlos, mit kehligen Lauten. Dazu erklingen helle Zimbeln.
Rund vierzig Menschen, eine bunte Gesellschaft, haben sich in der Kapelle zum koptisch-orthodoxen Pfingstgottesdienst versammelt. Einige Männer tragen Anzug und Schlips, andere Jeans und T-Shirt. Frauen im schicken Kostüm, kleine Mädchen im blütenweißen Sonntagskleid, rosa Schleifen im tiefschwarzen Haar. Es ist unruhig; Kinder quengeln manchmal, laufen rein und raus, ihre Mütter gelassen hinterher, niemand stört sich daran.
Vor 25 Jahren war das Kloster nur noch eine Ruine
Es ist bereits der zweite Gottesdienst heute Morgen. Zuvor wurde ein Kind getauft. Die Familie ist dazu aus Ennepetal angereist. So weit reicht das Gebiet dieser Gemeinde, zu der 82 Familien gehören.
Ein Junge liest etwas stockend aus der Apostelgeschichte vor. Ein Mann in langem Gewand trägt ein Bild, er geht rückwärts. Ihm folgt zwischen zwei Kerzen der gemessen vorwärts schreitende Bischof.
Seine Exzellenz Bischof Anba Damian, vor 63 Jahren in Kairo geboren, mit bürgerlichem Namen Refaat Ramzi Mikhail Fahmi, gelernter Facharzt für Radiologie, oberster Repräsentant der 12 000 Kopten, die in Deutschland leben. Vor 25 Jahren hat er das alte Kloster in Höxter-Brenkhausen vom Land Nordrhein-Westfalen für eine symbolische D-Mark übernommen. Nonnen gab es hier schon lange nicht mehr, die Ägypter fanden eine Ruine vor, voll mit Schutt, Unrat, Tierkadavern, leeren Weinflaschen und Bierdosen; es gab weder Strom noch Wasser noch Heizung. Die Übernahme erfolgte mit der Auflage, das barocke Gebäude im Sinne des Denkmalschutzes wiederherzustellen. „Wir waren fest davon überzeugt, dass Gott sich um sein Haus kümmern würde, und mit dieser Überzeugung lebten wir“, erinnert sich der Bischof.
Wer heute das Koptisch-Orthodoxe Kloster der Jungfrau Maria und des Heiligen Mauritius besucht, braucht viel Phantasie, um sich den damaligen Zustand vorzustellen. Bunte Ikonenmalereien schmücken die Wände, Holzskulpturen stehen in einem Flügel des Kreuzgangs. Eine breite Treppe mit kunstvoll gedrechseltem Balustradengeländer führt zur ersten Etage. Die Anlage ist gepflegt, aber nicht steril: Hier wird gewohnt, gearbeitet, gelebt.
Bis zu acht Mönche besiedeln das Kloster heute, meistens sind einige im Dienst in den koptischen Gemeinden unterwegs. In Brenkhausen ist aber nicht nur ein Zentrum geistlichen Lebens entstanden. Es ist auch ein Ort von wissenschaftlichen Tagungen – zu theologischen und anderen Themen. Demnächst versammeln sich hier internationale Fachleute bereits zum elften Mal zu den Tagen der Ägyptologie. Künstler zieht es hierher, etwa den Holzbildhauer Gunter Schmidt-Riedig, der als orthodoxer Diakon heute im Gottesdienst mitwirkt. Flüchtlinge aus verschiedenen afrikanischen Ländern kommen, finden Austausch, Seelsorge und praktische Hilfe. Besucher, in Gruppen oder einzeln, besichtigen das Kloster, manche verbringen einige Tage hier.
Im Gottesdienst werden jetzt weiße Tüchlein ausgeteilt. Beim Empfang des Brotes hält man sie darunter, damit kein Krümel verlorengeht. Aus der Hand des Bischofs erhalten die Gemeindeglieder dann das geweihte Brot direkt in den Mund. Ein Priester teilt den Wein mit einem Löffel aus, an alle, auch kleine Kinder. Der Wein ist mit Wasser vermischt: Blut und Wasser kamen nach seinem Tod am Kreuz aus der Wunde im Leib Christi.
Die Pflege der Tradition einer der ältesten Kirchen überhaupt, orientalisches Christentum in Deutschland – und zugleich eine ganz selbstverständliche, natürliche und freundliche Offenheit für andere Konfessionen: Das gehört zum Wesen des Klosters Brenkhausen, das ist die Art des Bischofs. „Wir haben einen gemeinsamen Vater, wir sind seine Kinder, und Kinder müssen nicht gleich sein“, sagt er.
Wenn die Jesus-Freaks in der Nähe ihre Zusammenkunft haben, geht Anba Damian einfach hin; er lädt sie auch ins Kloster ein und erklärt ihnen die ganz andere Welt des koptischen Christentums, man versteht sich gut. Ein begnadeter Netzwerker ist er, dieser Bischof: Seine Kontakte zur Politik auf Landes- und Bundesebene sind bestens, ebenso zur katholischen und evangelischen Kirche und innerhalb der verzweigten altorientalischen Kirchenfamilie sowieso. „Die gute Nachbarschaft, die wir zum Kloster Brenkhausen pflegen, ist eine Bereicherung“, sagt Präses Annette Kurschus von der Evangelischen Kirche von Westfalen. Diese ist maßgeblich an den Feierlichkeiten zum 25-jährigen Bestehen beteiligt.
Nach dem Gottesdienst gibt es bei strahlendem Wetter ein Mittagessen im Freien für die Gemeinde und alle Gäste. Der Bischof bedient persönlich, aufmerksam wendet er sich dem Besucher zu. Dennoch hat er alles im Blick, nichts entgeht ihm; er begrüßt Ankommende, kennt alle.
Ohne seinen gewinnenden Charme, ohne seine fröhliche, mitreißende Glaubenszuversicht hätte er es wohl nicht geschafft, aus einer Ruine das zu machen, was das Kloster Brenkhausen heute ist: ein blühendes Zentrum lebendiger Frömmigkeit.