Was er von Fußball im Radio hält, warum viele Sportjournalisten den Titel nicht verdienen und wieso die EM höchstens eine “kosmetische Korrektur” für die Gesellschaft ist – Manni Breuckmann hat Antworten.
Sportkommentator und Journalist Manni Breuckmann ist ein Freund klarer Worte. Bekannt wurde er als Hörfunkkommentator der Bundesligakonferenz. Heute macht der 72-Jährige unter anderem den Podcast “Steilvorlage”, in dem er gemeinsam mit dem evangelischen Pfarrer Bernd Becker Themen der Zeit zugespitzt diskutiert. Über Werte, angepasste Antworten und – natürlich – vor allem über Fußball sprach Breuckmann mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
KNA: Herr Breuckmann, wie fällt Ihre EM-Zwischenbilanz aus?
Breuckmann: Ich bin erstaunt und begeistert, dass – mit wenigen Ausnahmen – spannende und hochwertige Fußballspiele gelaufen sind. Auch die Stimmung ist super, wie man an jeder Straßenecke in den deutschen EM-Städten festellen kann: Das ist wirklich Europa, das ist Begeisterung. Nur am Rande gibt es Gewalt und Nationalismus, aber das fällt gar nicht weiter auf. Die meisten Fans sind im Stadion Rivalen und feiern danach zusammen weiter.
KNA: Was hat die EM für eine gesellschaftliche Bedeutung?
Breuckmann: Bei der WM 2006 hat Deutschland sich gezeigt als fröhliche, weltoffene Nation. Jetzt sind wir in einer komplett anderen Situation. Wir sind mittendrin in einer Anhäufung von Krisen und Konfliktsituationen. Ich hätte kein gutes Gefühl, wenn nun ein Sportereignis diese Konflikte wegdrückt – dazu ist es auch gar nicht in der Lage, höchstens vielleicht vorübergehend. Wir erleben ja auch, dass sich ziemlich viele Menschen in der Corona-Krise und auch im Zusammenhang mit der Ukraine von unserem Gemeinwesen abgewandt haben. Das kann nicht durch eine Fußball-EM repariert werden. Es könnte vielleicht ein paar kosmetische Korrekturen bewirken, wenn die deutsche Mannschaft relativ weit käme.
KNA: Was sagen Sie zu der Debatte um das pinke EM-Trikot der DFB-Elf?
Breuckmann: Das ist eine vollkommen überzogene Diskussion, die aus der homophoben Ecke angestoßen wurde. Der Fußball ist da noch zurück: In der Kultur, in der Politik, im Showbusiness ist es mittlerweile herzlich egal, wer mit wem schläft und wer wen liebt. Im Fußball gibt es wohl viele, die das verdecken. Das finde ich menschenunwürdig. Wenn ein öffentlicher Anlass ist, dann erscheint ein Spieler eben mit seinem Partner, so müsste es sein. Interessanterweise sind da die Frauen weiter als die Männer im Fußball. Aber man muss sagen, dass sich da ja in der Gesellschaft viel getan hat, deshalb gebe ich auch die Hoffnung für den Fußball nicht auf.
KNA: Wie sehen Sie dann politische Statements durch den Fußball? Welche Rolle spielt Fußball in gesellschaftlichen Streitthemen?
Breuckmann: Es gibt eine starke Strömung im Fußball, die sagt, zwischen Fußball und Politik gebe es überhaupt keinen Zusammenhang. Das ist natürlich eine dreiste Lüge. Wenn ich mir zum Beispiel vorstelle, dass ein Staat wie Katar seine internationale Bedeutung dadurch steigern wollte und immer noch will, dass dort Sportturniere stattfinden. Natürlich hat Fußball eine starke politische Bedeutung. Man kommt nicht weiter, wenn man das einfach ausklammert.
Die sauberste Lösung wäre natürlich, wenn ein Turnier gar nicht in einem Land wie Katar stattfindet, aber die internationalen Sportverbände und auch die Fußballverbände wie FIFA oder UEFA denken ja gar nicht daran. Die finden es ja gerade gut, wenn sie in einem autoritären Land sind, weil dann die Entscheidungswege kürzer sind und die Probleme weniger. Und dann werden manchmal kleine Aktionen gemacht, so kleine Wundpflaster drauf. “Wir sind gegen Rassismus”, oder so. Wenn man aber wirklich gegen Rassismus ist und gegen Sklavenarbeit, dann geht man da nicht hin und macht kein großes Turnier dort.
Also mit anderen Worten: Wäre ich konsequent in dem Zusammenhang, würde ich mich vom Fußball abwenden. Tu ich aber nicht, weil ich mein ganzes Berufsleben im Fußball geführt habe und immer noch sehr am Fußball hänge. Das ist ein Zwiespalt, den ich in mir trage.
KNA: Steckt zu viel Geld im Fußball?
Breuckmann: Der Fußball ist mittlerweile ein Teil des Unterhaltungsbusiness. Die Champions League zum Beispiel hat Einnahmen in Höhe von drei Milliarden und rückt davon zwei Milliarden als Prämien raus. Dadurch geht die Schere zwischen den international erfolgreichen Clubs und Vereinen wie Mainz 05, Augsburg und Co. in der deutschen Liga natürlich immer weiter auseinander. Die haben gar nicht die Möglichkeit, so viel Geld einzusacken. Alles wird dem Geldverdienen untergeordnet, ganz klar. Es werden kaum noch Werte vermittelt. Das ist ja zum Beispiel auch die Aufgabe der Kirchen, aber die erlauben sich dann Missbrauchsskandale und Vertuschung, das ist sehr schade.
KNA: In Ihrem Podcast “Steilvorlage” gemeinsam mit dem evangelischen Pfarrer Bernd Becker sprachen sie darüber, dass Sie aus der Kirche ausgetreten sind…
Breuckmann: Ich war Katholik, Ministrant, Lektor, ich hatte eine sehr schöne Kindheit im Zusammenhang mit meiner Kirchengemeinde im Ruhrgebiet. Aber als ich dann zum Studium nach Marburg zog, merkte ich, dass die Kirchenbindung sehr an persönlichen Bindungen zu Personen lag, die dann nicht mehr da waren.
Und hinzu kamen auch andere Dinge speziell in der katholischen Kirche. Die Sexualmoral hat mich sehr gestört, und insgesamt eine gesellschaftlich nicht besonders fortschrittliche Einstellung zu vielen Dingen. Deswegen bin ich ausgetreten aus der katholischen Kirche. Aber trotzdem freut es mich, wenn es überhaupt noch Institutionen gibt, die Werte vermitteln. Nächstenliebe zum Beispiel, oder dass materielle Dinge nicht alles sind.
KNA: Vermittelt denn der Sport Werte? Sportvereine werden oft als Beispiele dafür angeführt.
Breuckmann: Der Sport tut eine Menge für Integration. Das kann man sehen, wenn man auf einen beliebigen Fußballplatz geht. Und wenn es gut läuft, tut der Sport auch eine Menge für die Vermittlung von Werten wie Fairness. Indem der Schwerpunkt immer mehr auf Geld liegt, ist natürlich die Wertevermittlung schon etwas in Gefahr.
Kleines Beispiel nur: Das sportliche Verhalten auf dem Platz ist stark gefährdet. Wenn der Schiedsrichter mit dem Videoschiedsrichter konferiert, stürmen gleich zwei, drei Spieler auf ihn ein und versuchen ihn zu beeinflussen. In anderen Sportarten werden Schiedsrichterentscheidungen akzeptiert. Das ist eine schlechte Entwicklung im Fußball. Aber ich bleibe dabei, dass grundsätzlich Fußball und Mannschaftssport eine gute Charakterschulung für junge Leute sein können.
KNA: Inwieweit sind die aktuellen Profis Vorbilder? Gerade in den Sozialen Medien inszenieren sich manche ja sehr.
Breuckmann: Das hat natürlich viel mit dem Stichwort Marke zu tun. Es werden ja nicht nur die Vereine als Marke geführt, sondern auch die einzelnen Spieler. Daran basteln Berater: Was sagt er, was postet er? Was sollen die Eigenschaften sein? Deshalb kriegt man auch keine Stilblüten mehr als Antworten von Fußballern, weil sie rhetorisch geschult werden und lieber nichts als irgendwas Falsches sagen.
KNA: Braucht es also mehr klare Schnauze im Fußball?
Breuckmann: Ich stelle jedenfalls fest, dass Fußballspieler in den letzten Jahrzehnten zunehmend versuchen, nicht anzuecken. Wenn einer mal erlebt hat, dass er eine Woche lang vom Zeitungsboulevard fertig gemacht wurde wegen irgendeiner Aussage, dann wird er natürlich auch vorsichtig. Bei mir schwingt dafür also ein gewisses Verständnis mit.
KNA: In Ihrem Podcast sprechen Sie auch über ethische Fragen, die sich im Alltag stellen. Sie selbst geben da oft sehr zugespitzte Antworten.
Breuckmann: Ja, aber dabei darf man nicht vergessen: Mir kann keiner mehr was. Ich bin Rentner. Ich kann sagen, was ich will, solange es keine Straftatbestände erfüllt oder ich jemanden beleidige. Deswegen habe ich es vielleicht einfacher. Aber etwas mehr Liebe zu klaren Aussagen würde ich mir insgesamt schon wünschen. Wobei klare Meinungsäußerungen nicht mit eigenen, falschen Fakten verwechselt werden dürfen.
KNA: Wie sehen Sie den Sportjournalismus und die Kommentierung von Spielen heute?
Breuckmann: Ich stelle fest, dass manche Kollegen gar nicht mehr so richtig Sportjournalisten sind. Journalismus heißt für mich, nie Teil des Systems zu sein, also nie im gleichen Boot zu sitzen, sondern in einem Beiboot zu sitzen und von dort aus in kritischer Distanz zu berichten. Aber häufig sind Fußballjournalisten Fans, die es auf die andere Seite der Barriere geschafft haben und damit aus meiner Sicht nicht unbedingt mehr Journalisten.
Und das kommt auch hinzu: Sie berichten ja häufig für Sender, die sich die Sportrechte einen Haufen Geld haben kosten lassen. Dann muss das Produkt auch toll sein, das liegt in der Natur dieses Systems. Fundamentale Kritik übt man da besser nicht.
Aber es gibt auch noch eine Menge von Sportjournalisten, die den Namen auch verdienen. Wenn man im Stadion ein Fußballspiel fürs Radio kommentiert, geht es nicht in allererster Linie darum, möglichst kritisch zu sein. Da ist das eher ein Randaspekt.
KNA: Wenn sie heute die ARD-Konferenz hören, welches Gefühl überwiegt da?
Breuckmann: Da muss ich ein schreckliches Geständnis machen. Ich höre die so gut wie gar nicht mehr. Und ich kann auch die Leute nicht verstehen, die sagen, “boa, Fußball im Radio, das ist ja das Geilste”. In den allermeisten Fällen gucke ich mir das bewegte Bild an.
KNA: Sollte der öffentlich-rechtliche Rundfunk sich an den durchaus hohen Summen für die Rechte an Fußballübertragungen beteiligen?
Breuckmann: Die Öffentlich-Rechtlichen haben nicht nur einen Bildungsauftrag, sondern auch einen Informationsauftrag. Dazu kann man auch die Informationen über sportliche Ereignisse zählen. Also, ich würde ein bisschen zur Mäßigung der Ausgaben raten, aber es auf keinen Fall grundsätzlich ausschließen wollen.
KNA: Was ist heute im Fußball besser als früher?
Breuckmann: Der Fußball hat sich als Spiel zum Besseren entwickelt. Er ist wesentlich athletischer geworden, schneller. Ich stelle auch fest, dass die Zahl der wirklich langweiligen Spiele nachgelassen hat. Taktisch ist der Fußball auch viel besser geworden. Die Stadien sind moderner geworden. Der Fußball ist stärker in der Gesellschaft verankert. In meiner Anfangszeit war er in bestimmten Teilen des Bildungsbürgertums als eine Art Proletensport für Doofe verpönt. Der Fußball ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Da hat die WM 2006 auch eine große Rolle gespielt. Auch der Frauenanteil in den Stadien ist bedeutend höher geworden.
KNA: Zum Schluss: Wer wird Europameister?
Breuckmann: Vor der EM habe ich England getippt. Dafür schäme ich mich jetzt fast. Diese hochwertige Mannschaft spielt so einen uninspirierten Fußball. Das sieht teilweise fast aus, als ob sie keine Lust hätten. Begeistert bin ich von Spanien – ich befürchte, für Deutschland wird im Viertelfinale gegen Spanien Schluss sein.