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Regierung will angesichts hoher Zahlen Suizid besser vorbeugen

Jährlich nehmen sich Tausende Menschen in Deutschland das Leben. Zwar gibt es niedrigschwellige Hilfsangebote. Allerdings sind viele davon unterfinanziert. Eine nationale Strategie soll das ändern.

Mit einer nationalen Strategie zur Suizidvorbeugung will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) Hilfsangebote ausbauen und die Zahl der Selbsttötungen senken. Er wolle das “gesellschaftliche Tabu von Tod und Suizid überwinden”, betonte der Minister am Donnerstag in Berlin. Er kommt damit auch einer Forderung des Bundestags nach, der darüber hinaus einen Gesetzentwurf verlangt.

Lauterbach will die Beratungs- und Kooperationsangebote bundesweit koordinieren und eine zentrale deutschlandweite Krisendienst-Notrufnummer – etwa die 113 – einführen. Fachkräfte im Gesundheitswesen und der Pflege sollen besonders geschult werden. Auch die Forschung zu Suizidversuchen und Suiziden will der Minister ausbauen. Darüber hinaus plädierte er für “methodenbegrenzende Maßnahmen”; gemeint sind damit Zugangsbeschränkungen zu Mitteln und Orten für einen Suizidversuch. Dazu gehören Gleisanlagen, Brücken und Hochhäuser.

Lauterbach erklärte, das Schicksal der Betroffenen, der Angehörigen und Hilfskräfte dürfe der Gesellschaft nicht egal sein. Jährlich nehmen sich in Deutschland mehr als 9.000 Menschen das Leben; das sind mehr Tote als durch Verkehrsunfälle, Mord und Totschlag, illegale Drogen und Aids zusammen. 2022 war diese Zahl erstmals wieder auf über 10.000 Suizide geklettert. Mehr als 100.000 Menschen pro Jahr versuchen, sich das Leben zu nehmen.

Die Vorstandsvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention (DGS), Ute Lewitzka, forderte vom Gesetzgeber, die Präventionsangebote sicher zu finanzieren. Viele Projekte seien nur eine begrenzte Zeit lang abgesichert. Zugleich verlangte sie, die Suizidprävention vor der Suizidassistenz rechtlich zu regeln. Nach ihrer Einschätzung kann eine gute Prävention die Zahl der Suizide “substanziell” senken.

Die Ursachen für Suizide sind nach ihren Worten sehr verschieden. Sie nannte etwa “affektive Störungen” wie Depressionen oder Psychosen, aber auch Kränkungen oder Einsamkeit. Zudem gebe es bei jungen Menschen “Adoleszenzkrisen”. Deshalb müssten Risikogruppen gesondert angesprochen werden. Mit rund 75 Prozent seien Männer am stärksten gefährdet, wobei ihre Suizidalität mit dem Alter steige.

Der Bundestag hatte im vergangenen Juli mit überwältigender Mehrheit beschlossen, dass die Bundesregierung bis Ende Januar ein Konzept zur Vorbeugung und bis Ende Juni ein Suizidpräventionsgesetz vorlegen solle. Lauterbach zeigte sich zuversichtlich, dass es zu einer gesetzlichen Regelung kommen werde. Auf einen genauen Zeitpunkt für einen Entwurf wollte er sich nicht festlegen. Die Kosten könnten bislang nicht seriös abgeschätzt werden. Er gehe davon aus, dass der Haushaltsausschuss in dieser Frage Entgegenkommen zeige. Professionalisierung und staatliche Finanzierung seien “das Gebot der Stunde”, so Lauterbach.

Nach Schätzungen des Nationalen Suizidpräventionsprogramms und der Deutsche Akademie für Suizidprävention vom Herbst sind mindestens 20 Millionen Euro nötig. Hilfsangebote wie die Telefonseelsorge und die Online-Suizidprävention für junge Menschen “U25” seien überlastet, beklagten die Experten.

Die katholischen Bischöfe forderten im Sinne des Bundestags ein verbindliches und umfassendes Suizidpräventionsgesetz. Die Strategie “reicht inhaltlich bei Weitem noch nicht aus”, sagte der Vertreter der Bischofskonferenz, Prälat Karl Jüsten. Damit “Menschen nicht in Situationen geraten und verbleiben, in denen sie den Tod als vermeintlich kleineres Übel dem Leben vorziehen”, müssten die Palliativmedizin und Hospizarbeit gestärkt werden.

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) verlangte einen Ausbau von professionellen sowie ehrenamtlichen Beratungsangeboten wie der Telefonseelsorge und von sozialpsychiatrischen Diensten. Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa sagte, dass neben Beratung und Notfalltelefonen auch Schutzkonzepte nötig seien, “die dem spontanen Suizidwunsch auch bauliche Maßnahmen entgegenstellen”. Auch der evangelische Wohlfahrtsverband Diakonie beklagte eine Überlastung der Telefonseelsorge. Zudem fehlten besondere Hilfsangebote etwa für Jugendliche und sterbenskranke Menschen.