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Pflegende Angehörige wollen mehr als einen Pflegebären

Jochen Springborn, der seit mehr als 20 Jahren seine an Multipler Sklerose erkrankte Frau zu Hause pflegt und voll arbeiten geht, will endlich mehr Anerkennung für pflegende Angehörige oder Freunde.

Frau pflegt ihren demenzkranken Mann.
Frau pflegt ihren demenzkranken Mann.Imago / Martin Wagner

200.000 Berlinerinnen und Berliner setzen sich neben Job und Familie für ihre Angehörigen ein. Um sie geht es bei der Berliner Woche der pflegenden Angehörigen vom 25. Mai bis 1. Juni, die das Diakonische Werk Berlin Stadtmitte im Auftrag des Senats organisiert. Sie haben mehr Wertschätzung verdient, sagt Andrea U. Asch, Diakonie-Vorständin und unser Kommentator Jochen Springborn.

Das Motto der Woche der pflegenden Angehörigen heißt „Aus dem Schatten ins Rampenlicht“. In unserem Land werden 4 von 5 Pflegebedürftigen zu Hause versorgt, zwei Drittel ohne Unterstützung durch Pflegedienste. Wir Angehörigen übernehmen damit mehr Arbeit als die professionellen ambulanten und stationären Pflegeangebote zusammen und erbringen eine Leistung, die von unschätzbarem Wert für die Gesellschaft ist. Wir sind die tragende Säule der Pflegeversorgung in unserem Land. Darauf können wir stolz sein und brauchen uns und unsere Leistung nicht zu verstecken oder klein reden zu lassen.

Deckelung der Eigenanteile in der häuslichen Pflege

Wir brauchen eine öffentliche Anerkennungskultur, Respekt und mehr Entlastung für unsere Leistung, denn gute Pflege muss gepflegt werden, damit sie aus dem Schatten ins Rampenlicht tritt. Nicht nur eine Woche, sondern jeden Tag. Nur wenn es uns Angehörigen gut geht, können wir gut für unseren Nächsten sorgen. Und irgendwann betrifft es jeden von uns.

Jochen Springborn, stellvertretender Abt.-Ltr. Schulstiftung
Jochen Springborn, stellvertretender Abt.-Ltr. SchulstiftungEv. Schulstiftung / Frank Wölffing

Deshalb fordern wir von der Politik kurzfristig eine Deckelung der Eigenanteile in der häuslichen Pflege bei Einsatz eines Pflegedienstes. Die Kosten dafür sind in den letzten 18 Monaten um 40 Prozent gestiegen, ohne dass die Leistungen der Pflegeversicherung entsprechend angehoben wurden. Dadurch liegt der Eigenanteil für die Pflege meiner Frau jetzt bei knapp 3000 Euro im Monat. Wir brauchen dringend das flexible Entlastungsbudget, in dem alle zusätzlichen Leistungen zusammengefasst sind und das nach Bedarf und örtlichen Möglichkeiten eingesetzt werden kann. Dann würden nicht jedes Jahr Milliarden Euro verfallen, weil es keine geeigneten Entlastungsangebote gibt.

Kurzzeitpflegeplätze nicht vorhanden

Es gibt für die über 4 Millionen zu Hause Gepflegten mit Anspruch auf Tagespflege nur 98 000 Plätze in ganz Deutschland. Das ist eine Deckungsrate von nicht einmal 2,5 Prozent. Und für die 160.000 Pflegebedürftigen, die in Berlin zu Hause gepflegt werden, gibt es nur 304 Kurzzeitpflegeplätze. Wobei ein Platz bis zu 200 Euro pro Tag kostet. Wer kann sich das leisten?

Diese unterstützende Infrastruktur muss dringend ausgebaut und bezahlbar werden. Denn wir brauchen dringend Entlastung. Unsere Schicht ist nie zu Ende. Die psychische Belastung durch diese Dauerbereitschaft, das Nicht-Ausfallen-Dürfen und der fehlende Schlaf sind dabei die größten Probleme, neben dem schlechten Gewissen, das ich habe, wenn ich etwas für mich tue.

Pflegende Angehörige rutschen in die Armutsfalle

Die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf muss nicht nur möglich, sondern normal werden. Denn pflegende Angehörige sind wertvolle Mitarbeiter, gut organisiert, strukturiert, stresserprobt und belastbar. Ich kann meine Frau nur zu Hause pflegen, weil ich dabei große Unterstützung durch meinen Arbeitgeber, die Evangelische Schulstiftung in der EKBO, erhalte.

Für diejenigen, die nur in Teilzeit oder nicht mehr arbeiten können, muss eine Lohnersatzleistung eingeführt werden, damit die Pflege eines Angehörigen nicht automatisch in die eigene Armut führt. Wir haben einen Pflegeunterstützungs- und Entlastungsnotstand. Den politisch Verantwortlichen fehlt der Handlungswille, das zu ändern.

Deshalb warten Sie nicht auf die Politik. Unterstützen Sie pflegende Angehörige in Ihrem Umfeld, in Ihrer Kirchengemeinde und wo Sie Ihnen begegnen. Wir sind dankbar für jede Hilfe und Unterstützung. Werden Sie aktiv!

Infos zur Woche der pflegenden Angehörigen

Am 25. Mai werden im Roten Rathaus bei einer Ehrengala von 14–18.30 Uhr stellvertretend neun Menschen mit dem „Berliner Pflegebären“ ausgezeichnet. Einen pflegepolitischen Dialog im Abgeordnetenhaus in Berlin veranstaltet der Verein „wir pflegen e.V.“, unter anderem mit Jochen Springborn, am 30. Mai von 16.30–19 Uhr. Nur mit Anmeldung. Informationen und das Programm der Woche:www.woche-der-pflegenden-angehoerigen.de

Jochen Springborn ist stellvertretender Abteilungsleiter bei der Evangelischen Schulstiftung in der EKBO. Im Mai 2022 wurde er für sein langjähriges Pflegeengagement mit dem Berliner Pflegebär geehrt.