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Pflege in Evangelischen Krankenhäusern

Wie erleben evangelische Krankenhäuser den Pflegenotstand?

Arbeitsbedingungen in der Pflege in evangelischen Krankenhäusern

„Viele sind erschöpft und frustriert“

von Sibylle Sterzik

Bei den landeseigenen Kliniken Vivantes gingen am vergangenen Wochenende noch einmal Tausende auf die Straße. Die Kliniken seien am Limit, es müsse sich grundlegend etwas verändern, so die Forderungen. Die Charité-Kliniken haben ihren Streik eingestellt und  stehen kurz vor einem Tarifabschluss. Wie sieht es mit den Arbeitsbedingungen in Evangelischen Krankenhäusern aus?

Vor einem Jahr wurden sie noch auf den Balkonen beklatscht. Politiker sprachen davon, dass Pflegende entlastet und besser bezahlt werden sollen, Zusatz-Boni wurden ausgeschüttet. Damals wütete die Pandemie und Intensivkrankenschwestern und -pfleger galten als Held*innen.

Inzwischen hat die Pandemie durch die Impfung einiges von ihrem Schrecken verloren, auch wenn täglich noch Menschen sterben. Was ist von der Bereitschaft, die Arbeit der Held*innen angemessen zu entlohnen und auszustatten, geblieben? Und gibt es ähnliche Forderungen wie bei Charité und Vivantes in evangelischen Krankenhäusern?

Detlef Abrecht, Geschäftsführer des Verbandes Evangelischer Krankenhäuser und stationärer Pflegeheime in Berlin-Brandenburg, stellt die Gegenfrage. „Worum geht es hier eigentlich?“, fragt er. „Geht es um mehr Geld oder um bessere ­Arbeits­bedingungen?“ Um beides.

Denn Krankenschwestern und Krankenpfleger leisten eine für die Gesellschaft wichtige Arbeit, die auch angemessen entlohnt werden muss. So sieht es Maren Paul, ehemalige Intensivkrankenschwester im Evangelischen Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge (KEH).

Noch verdiene ein Sachbearbeiter bei der Krankenkasse mehr als eine Krankenschwester. Und der schiebe weder drei Schichten noch arbeite er am Wochenende, rechnet Maren Paul vor, die heute in der Mitarbeitervertretung des KEH tätig ist.

Der Beruf einer Krankenschwester genieße in der Gesellschaft nicht die Wertschätzung, die ihm zukomme, sagt sie und das zeige sich auch am Verdienst. Viele der Pflegefachkräfte seien erschöpft und frustriert. „Nicht selten“ passiere es, dass sie an freien Tagen in die Arbeit geholt werden, weil jemand ausfällt. Besonders in der Urlaubs- und Grippezeit sei das so. Jeder sehe das ein, und für solche Schichten gebe es auch 30 Euro zusätzlich, aber das ­Familienleben leide. Viele sagten: Ich will das nicht mehr und gehen in andere Berufe.

Teilzeit zur Entlastung könnten sich viele Alleinverdienende wegen des geringeren Verdienstes nicht leisten. Wer aus dem Schichtdienst raus wolle, wechsele zum Beispiel zur Hauskrankenpflege. Junge Leute verzichteten nach der Ausbildung zugunsten von mehr Freizeit auf volle Stellen. „Ältere halten unter großem Einsatz bis zur Rente durch und werden oft länger krank“, weiß Maren Paul. Doch gemeinsam suchten Mitarbeitervertretung und evangelischer Krankenhausträger nach Lösungen. „Wir haben viel geregelt, zum Beispiel maximal sieben Dienste für Pflegende am Stück.“

Eine große Hürde stellen offenbar die von Gesundheitsminister Jens Spahn eingeführten Pflegeuntergrenzen (PUG) dar. Der Schlüssel von einer bestimmten Zahl an Pflegenden zu Patient*innen muss eingehalten werden, sonst drohe der Klinik ein Strafgeld: eine Pflegekraft auf 12 Patient*innen. Was als Mittel gedacht war, gute Pflege sicherzustellen, wird zum Problem. „Fällt jemand aus, werden Kolleg*innen hin- und hergeschoben, um die PUG sicherzustellen. Und das macht den Frust“, resümiert Maren Paul. Die Politik müsse sich hier bewegen und alle Beteiligten an einen Tisch holen.

Mitarbeitende würden bei Schichtantritt einer anderen Station zugeteilt, wo sie Patienten und Krankheitsbilder kaum kennen. „Wenn ich auf der Intensivstation sehe, dass sich der Zustand einer ­Patientin verschlechtert, passe ich zum Beispiel das Medikament an und informiere den Arzt. Das kann über Leben und Tod entscheiden und hat viel mit Vertrauen, Erfahrung und Zuverlässigkeit zu tun.“ Auf einer fremden Station könnten leichter Fehler passieren, so Maren Paul. Leitungskräfte hätten viel damit zu tun, die PUG einzuhalten. Das KEH habe diesen Schlüssel von sich aus auf 1:10 reduziert, sagt sie anerkennend.

Detlef Albrecht räumt ein: „Wir arbeiten unter schwierigen Bedingungen.“ Evangelische Krankenhäuser hätten auch keine Steuermittel im Hintergrund wie die landeseigene Charité, die jetzt 700 neue Stellen schafft. „Woher nehme ich die Mittel?“, fragt er. Für 2022 seien aber  neue Arbeitsvertragsrichtlinien verhandelt worden, zum 1. Januar eine Entgelterhöhung um 1,6 Prozent und ab 1. Oktober um 0,6 Prozent.

Doch die Verantwortung für die Pflege der Patient*innen sei eine ­gemeinsame. „Wenn die Pflegenden jeden Tag betonen, wie schlecht die Arbeitsbedingungen seien, findet sich auch kein Nachwuchs.“ Er appelliert an das Pflegepersonal, auch die attraktiven Seiten darzustellen. Und verweist neben dem verbind­lichen Tarif und dem diakonischen Profil auf gute Angebote im KEH.

Auf Nachfrage dort erklärt die Pressesprecherin Svenja Koch: „Die Patientenversorgung ist jederzeit gewährleistet.“ Das Ausfallmanagement werde aktuell überarbeitet und beinhalte Maßnahmen, um die Dienstplanverlässlichkeit zu gewährleisten und die Zufriedenheit der Mitarbeitenden zu steigern. Ein Springerpool unterstützt bereits. Damit soll bei akutem Ausfall von Pflegepersonal reagiert werden.

Viel Zeitaufwand verursachten die Vorgaben an die Pflegedokumentation, die durch die gesetzlichen Rahmenbedingungen erforderlich sind. Maren Paul bestätigt, dass Pflegekräfte Überstunden ­machen, um diese sicherzustellen. „Wenn ich nicht dokumentiere, kann nicht abgerechnet werden.“

Das KEH will mehr Pflegepersonal einzustellen. Doch es fehle an Bewerber*innen. Mitarbeitende erhalten eine Prämie, wenn sie neue Kollegen anwerben. Auch ausländische Arbeitskräfte würden angeworben. Acht Pflegekräfte aus den Philippinen, die 2019 ins KEH kamen, seien „eine wertvolle Ergänzung für unsere Teams“. Die Zahl der Ausbildungsplätze wurde 2021 erstmalig von 30 auf 50 erhöht. Insgesamt werden knapp 100 Pflegekräfte derzeit ausgebildet.

„Für jede offene Stelle muss jemand mitarbeiten“, ist auch Detlef Albrecht klar. Wie viele offene Stellen es in den Evangelischen Krankenhäusern seines Verbandes gebe, weiß er allerdings nicht.

Sibylle Sterzik ist Redakteurin in "die Kirche"