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Perspektivwechsel gefordert: die Natur hat Rechte

In verschiedenen Kulturkreisen werden der Natur Rechte und Gefühle zugeschrieben. Das Projekt “Reli fürs Klima” bringt Schülerinnen und Schülern diese Sichtweise näher.

In der Kosmovision der peruanischen Kukama wird ein Fluss als verletzlich empfunden und leidet zum Beispiel unter Plastikmüll
In der Kosmovision der peruanischen Kukama wird ein Fluss als verletzlich empfunden und leidet zum Beispiel unter PlastikmüllIMAGO / Olaf Schuelke

Der Klimawandel ist keine ferne ­Bedrohung, sondern die Realität, in der wir leben. Und mitten in dieser Realität steht ein religionspäda­gogisches Projekt, das ungewöhn­liche Wege geht: „Reli fürs Klima“. Diese Kooperation zwischen Brot für die Welt und der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) verbindet religiöse Bildung mit Klimaschutz. Sie vermittelt nicht nur Fakten, sondern verschiebt die Perspek­tiven.

Ein Beispiel: Schüler:innen stellen sich vor, was die Natur sagen würde, wenn sie sprechen könnte. „Ich glaube, die Natur ist so richtig sauer auf uns Menschen“, sagt eine Siebtklässlerin. „Wir mauern sie zu und benutzen sie, wie wir wollen. Wir Menschen treten gegen einen Baum, brechen Zweige ab, und der Baum kann nicht zurückschlagen.“ Es sind Stimmen, die nachdenklich machen – und zeigen, wie viel ­Empathie entstehen kann, wenn man sich einfühlt, statt nur zu ­ana­lysiert.

Gericht erkennt Marañón-Fluss als Rechtssubjekt an

Die Idee, der Natur eine Stimme zu geben, ist mehr als ein pädagogischer Trick. Sie spiegelt eine Bewegung, die weltweit an Bedeutung gewinnt: die Vorstellung, dass die Natur nicht bloß Objekt mensch­licher Nutzung ist, sondern Subjekt mit eigenen Rechten. In verschiedenen Teilen der Welt, insbesondere in indigenen Kosmovisionen, wird die Natur nicht als „etwas“, sondern als „jemand“ betrachtet.

Ein beeindruckendes Beispiel ­dafür lieferte uns jüngst der Besuch von Celia Fasabi aus Peru. Anfang Mai traf sie sich mit 50 Schüler:­innen im Rahmen von Reli fürs ­Kli­ma. Fasabi ist Vertreterin der ­Federación de Mujeres Indígenas Kukama, einer indigenen Frauen­organisation, die sich für Umwelt- und Menschenrechte einsetzt. Celia Fasabi sprach über den Marañón-Fluss, der für die Kukama kein Fluss im westlichen Sinne ist, sondern Vater, Quelle des Lebens, spirituelles Wesen.

In der Kosmovision der Kukama sind Mensch und Natur untrennbar verbunden. Die Vorfahren leben im Fluss weiter, in Städten unter
der Wasseroberfläche, Schamanen kommunizieren mit den Geistern des Wassers, und der Fluss wird als lebendig, empfindsam und heilend erfahren. Diese spirituelle Ver­bindung geht über eine funktionale Beziehung hinaus: Der Fluss nährt, heilt und lehrt – und wird zugleich als verletzlich empfunden, wenn er durch Ölunfälle oder Plastikmüll leidet. Eingriffe wie das Ausbaggern des Flusses bedrohen daher nicht nur ihre Lebensgrundlage, sondern auch ihre spirituelle Welt.

Diese Sichtweise wurde 2021 ­juristisch anerkannt: In einem wegweisenden Urteil sprach ein peruanisches Gericht dem Marañón und seinen Zuflüssen den Status eines Rechtssubjekts zu. Der Fluss erhielt das Recht, frei zu fließen, vor Verschmutzung geschützt zu werden, seine Zyklen zu bewahren.

 

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Dieses Urteil ist mehr als ein ­juristisches Novum. Es ist ein ­Zeichen für einen Paradigmenwechsel – weg von der Vorstellung, dass der Mensch die Natur beherrscht, hin zu einer Ethik der ­Beziehung und des Respekts. Die Kukama stehen damit nicht allein. Ähnliche Konzepte gibt es in Ecuador, Bolivien oder Neuseeland. ­Gemeinsam ist ihnen ein Denken, das unter dem Begriff „Buen Vivir“ bekannt wurde – das gute Leben, verstanden als Gleichgewicht, nicht als Wachstum.

Diese Denkrichtung fordert west­liche Vorstellungen heraus. Sie stellt Fragen, die tief ins Mark treffen: Was heißt es, mit der Erde zu leben, nicht nur auf ihr? Wer spricht für die Natur, wenn sie ­­­­leidet? Und: Wollen wir wirklich weiterleben, als gäbe es keine Konsequenzen?

Celia Fasabi gibt der Natur eine Stimme

Der Dialog mit Celia Fasabi war mehr als ein Gastvortrag. Er war ­eine Einladung zum Perspektivwechsel – und eine Konfrontation mit den blinden Flecken unseres Denkens. Für die Schüler:innen wurde deutlich, dass Naturrechte kein fernes Thema sind, sondern ­etwas, das mit Gerechtigkeit, mit Würde und letztlich auch mit ihrer eigenen Zukunft zu tun hat.

Auch theologisch öffnet dieser Ansatz neue Räume. Wenn Gott ­„alles Leben“ geschaffen hat, wie es die Schöpfungstheologien sagen – warum beschränken wir das Recht auf Leben und Würde auf den ­Menschen? In Römer 8,22 heißt es: „Die ganze Schöpfung seufzt und stöhnt.“ Was, wenn wir das wörtlich nehmen? Die Schüler:innen, die der Natur eine Stimme geben, zeigen uns, wie das gehen kann. Sie hören hin. Und sie antworten. Die Natur ist nicht stumm. Sie spricht. Und wir sollten besser zuhören.

Kornelia Freier ist Kultur- und Afrikawissenschaftlerin, Religionspädagogin und Bildungs­referentin bei Brot für die Welt. Janine Joshi ist Schulpfarrerin und Projektleiterin für „Reli fürs Klima“ in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO).

Am 1. Juli um 18 Uhr lädt „Reli fürs Klima“ zu einem Klimakonzert in den Berliner Dom ein. Mit Kinder- und Jugendchören der Paul-Gerhardt-Kirchengemeinde, der Jugendkantorei der Evangelischen Singschule Prenzlauer Berg Nord und dem Berliner Mädchenchor. Für den Schüler*innen-Wett­bewerb „Planet im Gerichtssaal –Welche Rechte sollte die Natur haben“ findet die Preisverleihung statt.
Mehr Infos unter: www.reli-klima.de