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Personalnot in der Pflege: Probleme nicht nur in Nachtschichten

Eine Pflegekraft ruft Mitte April Polizei und Feuerwehr, weil Personal für die Nachtschicht fehlt – laut Einrichtung ein Einzellfall. Fachleute sehen das anders und suchen bessere Lösungen.

Für die Pflegeversicherung fehlen Milliarden
Für die Pflegeversicherung fehlen Milliardenepd-bild / Tim Wegner

Nach dem kuriosen Einsatz von Rettungskräften und Polizei am 15. April in einem Pflegeheim der Domicil-Unternehmensgruppe in Berlin-Lichtenberg wegen Personalnot im Nachtdienst hat sich die mediale Aufregung gelegt. Aber noch stellt sich die Frage, ob dieser Vorgang wirklich als Einzelfall abgetan werden kann. Die Gewerkschaft ver.di will nicht zur Tagesordnung übergehen: „Es ist unerträglich, dass so etwas vorkommt“, sagte Gisela Neunhöffer, stellvertretende Landesfachbereichsleiterin für Pflege in Berlin und Brandenburg, bei einer Anhörung im Berliner Abgeordnetenhaus.

„Dieser Fall muss Anlass sein, die grundsätzlichen Probleme in den Blick zu nehmen und politisch zu handeln“, erklärte die Gewerkschafterin. Eine Mitschuld an den nächtlichen Zuständen in Pflegeheimen sieht sie bei der Politik. Die Personalvorgaben für die Heime werden zwischen den Pflegekassen und den Verbänden der Leistungserbringer auf Landesebene in Landesrahmenverträgen festgelegt: „In diesen Plänen muss festgeschrieben werden, wie viel Personal für die Patienten tatsächlich pro Schicht anwesend sein muss.“

“So kann man niemandem gerecht werden”

Wie viel – oder besser wie wenig – Personal tatsächlich nachts vor Ort ist, lässt eine Umfrage des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK) erkennen. 2023 wurden Pflegende nach der Personalbesetzung in den Diensten zu ungünstigen Zeiten in Krankenhäusern und Heimen befragt. Knapp 3.500 Antworten wurden ausgewertet: 55 Prozent der Befragten versorgten 20 bis 40 Menschen im Nachtdienst, aber fast ein Fünftel kreuzte die Zuständigkeit für 80 Personen und mehr an.

Dass das keine Momentaufnahme, sondern die Regel sei, gaben mehr als 93 Prozent der Pflegekräfte an. Die Anschlussfrage nach einer etwaigen Unterstützung verneinten rund 39 Prozent. Etwas mehr, 46 Prozent der Befragten, haben immerhin mindestens eine Pflegehilfsperson an der Seite. DBfK-Präsidentin Christel Bienstein: „So kann man niemandem gerecht werden, geschweige denn gut und sicher pflegen.“

David Kröll vom BIVA Pflegeschutzbund sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Wir hören oft von knapp besetzten Stationen, Problemen bei der Übergabe oder von zu wenigen Fachkräften, die mit Hilfskräften zu viele Bewohnerinnen und Bewohner versorgen müssen. Man hält die Versorgung – insbesondere nachts – mehr schlecht als recht aufrecht.“

Schnell zu lösen seien diese akuten Personalprobleme nicht, sagte Kröll. Auf der Suche nach Abhilfe diskutierten Expertinnen und Experten ein Bündel an Maßnahmen, die größtenteils erst mittelfristig wirken könnten: Verbesserung der Arbeitsbedingungen, bessere Bezahlung und Tarifbindung, Förderung von Qualifikation, internationale Rekrutierung sowie die Aufwertung des Pflegeberufs. „Eigentlich müsste alles gleichzeitig umgesetzt werden, sprich: Eine umfassende strukturelle und finanzielle Reform der Pflegeversicherung müsste her, für die es auch Vorschläge gibt“, sagte Kröll.

Vieldiskutierte Fachkraftquote löst Problem nicht

Das sieht auch Peter Koch, Geschäftsführer der Gaggenauer Altenhilfe, so. Weil die Personaldecke in der Heimpflege generell knapp sei, bereiteten nicht nur die Nachtschichten Probleme, so das Vorstandsmitglied der Landesgruppe Baden-Württemberg des Bundesverbandes Pflegemanagement. „Uns fehlen aktuell schon mehr als 30 Prozent Personal.“ Deshalb gebe „es sicherlich Fälle, in denen eine Besetzung des Nachtdienstes auch in anderen Einrichtungen schwierig ist und teilweise mit Unterbesetzung gefahren werden muss“. Die Anwesenheit einer verantwortlichen Pflegefachperson werde jedoch in der Regel sichergestellt. „Ich denke, die Nachtdienstvorgaben sind für ein Pflegeheim mit einer durchschnittlichen Bewohnerschaft ausreichend, problematischer stellt sich hier der Tagdienst dar.“

Auch die oft diskutierte Absenkung der Fachkraftquote biete keine Lösung, betont Koch: „Das Thema grassiert in den Medien und wird primär von Arbeitgeberverbänden befeuert.“ Man habe aber nicht nur einen Pflegefachkraftmangel, sondern in manchen Regionen schlicht einen Personalmangel. „Eine Absenkung der Fachkraftquote kann nur mit einer Stärkung der Basis der qualifizierten Helfer einhergehen, an denen es jedoch auch fehlt.“