Es klingelt. Auf dem Weg zur Tür wirft Pastor Tobias Heyden noch schnell einen Blick durch das Küchenfenster. Was er im Garten sieht, versetzt ihm einen Schrecken. „Ungefähr 15 Polizisten und Beamte von der Abschiebebehörde hatten das Pfarr- und Gemeindehaus umstellt“, erzählt Heyden.
Die Ansammlung staatlicher Vollzugskräfte gilt jedoch nicht dem 38-jährigen Geistlichen, sondern einer russischen Familie mit zwei Kindern, die in der Kirchengemeinde Bienenbüttel Kirchenasyl gefunden hat. „Ich wollte den Durchsuchungsbeschluss sehen. Ohne den hätte ich sie nicht reingelassen.“ Als die Beamten den vorweisen, bleibt Heyden nichts andes übrig, als die Tür zu öffnen. „Es war schrecklich, als sie abgeführt wurden. Die Mutter rief immer wieder ‚Warum?‘, und ich stand daneben und konnte nichts tun.“
Der erste Bruch des Kirchenasyls in Niedersachsen
Die Gemeinde in Bienenbüttel bei Uelzen hat sich nach Angaben des Pastors streng an die Vereinbarung zum Kirchenasyl gehalten, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und die Kirchen im Jahr 2015 geschlossen haben. Danach respektiert das Land Niedersachsen Kirchenasyl unter bestimmten Voraussetzungen und in einzelnen Härtefällen, damit überprüft werden kann, ob ein humanitärer Härtefall vorliegt, der eine Abschiebung verbietet.
Heyden erzählt, dass die Familie den Behörden gemeldet gewesen sei, wie es die Vereinbarung vorsah. Zuvor habe die Gemeinde grundlich überlegt, ob sie Asyl bieten dürfe, habe sich von Diakonie und Landeskirche beraten lassen. „Wir wollen mit dem Kirchenasyl nicht die Rechtslage untergraben, sondern Menschen Schutz gewähren, deren Leben durch die Abschiebung bedroht ist.“
Hat das Kirchenasyl noch Zukunft?
Dieser erste und bisher einzige Bruch eines Kirchenasyls in Niedersachsen nach 26 Jahren staatlicher Duldung liegt zwar schon mehr als ein halbes Jahr zurück, aber er lässt viele Kirchenleute besorgt zurück. Welche Zukunft hat das Kirchenasyl? „Es ist schon auffällig, dass es in einer Zeit passiert, in der Abschiebungen ein immer wichtigeres Thema in der Politik wurden“, sagt Heyden.
Sorgen um die Zukunft des Kirchenasyls macht sich auch Pastor Sven Quittkat vom ökumenischen Netzwerk Asyl in der Kirche. „Solange die Möglichkeit bestehen bleibt, Kirchenasyle durchzuführen, wird es auch engagierte Christinnen und Christen geben, die sich in ihren Kirchengemeinden für geflüchtete Menschen einsetzen“, sagt Quittkat kämpferisch. Die Kirchenasylräumungen im vergangenen Jahr hätten viele Gemeinden allerdings „sensibilisiert“. Dass es mit dem Kirchenasyl eines Tages ein Enden haben könnte, ist im Bereich des Möglichen.
Starke Nachfrage von “angsterfüllten Menschen”
Allerdings komme der derzeit zunehmende Druck vor allem durch die „starke Nachfrage von vielen angsterfüllten Menschen“, stellt Quittkat klar. Pro Woche würden ihn 20 bis 30 Anfragen erreichen, rund die Hälfte davon Härtefälle, die nach strenger Prüfung für ein Kirchenasyl infrage kämen. „Deshalb würden wir uns freuen, wenn sich mehr Kirchengemeinden für die Aufnahme von geflüchteten Menschen entschließen würden.“
Vorerst bleibt das Kirchenasyl in Niedersachsen jedoch weiter möglich. Nach der gewaltsamen Räumung in Bienenbüttel fand ein Abstimmungsgespräch zwischen dem Rat der Konföderation der evangelischen Kirchen in Niedersachsen und der niedersächsischen Innenministerin statt. „In diesem Gespräch wurde zugesagt, dass das Land künftig keine Kirchenasyle mehr gewaltsam beenden wird“, sagt Pastor Simon-Hinkelmann von der Landeskirche Hannovers. Doch sei das Kirchenasyl „Ultima Ratio“ bei einer unzumutbaren Härte, betont der Kirchensprecher. „Wenn wir das Instrument des Kirchenasyls auch in Zukunft vorhalten wollen, müssen wir mit ihm besonders achtsam umgehen.“ Juristische Beratung und Prüfung der Fälle bietet die Konföderation den Gemeinden an.