Vor 50 Jahren lief die ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY… ungelöst“ erstmals im Fernsehen: Zuschauer wurden um Mithilfe bei der Lösung von Kriminalfällen gebeten. Gründer der Sendung war Eduard Zimmermann – der knapp zehn Jahre später, 1976, zusätzlich den Opferhilfeverein Weißer Ring ins Leben rief. Die Bundesvorsitzende Roswitha Müller-Piepenkötter spricht mit Leticia Witte über das damalige „Zugpferd“ Zimmermann, Themen der ersten Jahre und heutige Herausforderungen wie den Terror.
– Wie kam es dazu, dass im Zusammenhang mit einer Fernsehsendung der Weiße Ring gegründet wurde?
Der Weiße Ring ist von Eduard Zimmermann gegründet worden. Die Fernsehsendung ist etwa zehn Jahre älter als der Weiße Ring. In seiner Arbeit hatte Zimmermann viel Kontakt zu Kriminalitätsopfern, es waren ja schwere Delikte wie Mord, Geiselnahme, Sexualdelikte. Er stellte fest, dass Opfer nicht nur im Strafverfahren keine Rolle spielten, sondern nur Beweismittel waren und oft auch tatsächlich in wirtschaftliche Not gerieten. Denn eine Opferentschädigung seitens des Staates gab es nicht.
– Wie ging es weiter?
Eduard Zimmermann fand sehr schnell Mitstreiter gerade aus dem Bereich Polizei und Staatsanwaltschaft. Das sind die Menschen, die mit Opfern solcher Straftaten zu tun und dieselbe Beobachtung gemacht haben. Verschiedene Polizeipräsidenten, Staatsanwälte und Rechtsanwälte waren damals Mitbegründer des Weißen Rings. Sie haben sich von Eduard Zimmermann sehr schnell überzeugen lassen beziehungsweise mussten gar nicht überzeugt werden.
– Betrübt es Sie ein wenig, dass der Verein auf diesem Weg gegründet wurde und nicht schon viel eher von Vertretern der Ermittlungsbehörden, die professionell mit Opfern zu tun haben?
1976 ist der Weiße Ring gegründet worden, da betrübt es mich heute nicht mehr, was damals war oder nicht. Wer im Einzelnen wie viel an Ideen beigetragen hat, das weiß man nicht. Es ist natürlich immer gut, wenn man so einen Prominenten als Promoter hat. So fand der Weiße Ring sehr schnell viele Mitstreiter. Es hat ja nur wenige Jahre gedauert, da gab es Landesbeauftragte in allen damaligen Bundesländern, Außenstellen und Regionalbeauftragte. So etwas war mit einem Zugpferd Eduard Zimmermann viel besser zu machen als mit einem Leitenden Staatsanwalt in Hamburg.
– Was waren die vorherrschenden Themen, mit denen sich der Verein zur Zeit seiner Gründung beschäftigt hat?
Ganz wichtig war damals die wirtschaftliche Not: die erste Hilfe nach einer Straftat, wenn wirtschaftliche Schäden entstanden waren. Wenn eine Frau geschädigt worden war, Kosten wegen Krankheit hatte, nicht arbeitsfähig war; wenn nach einem Einbruch Reparaturen vorgenommen werden mussten, die die Versicherung nicht abdeckte. Inzwischen haben sich die Schwerpunkte grundlegend geändert.
– Inwiefern?
Heutige Themen sind die Betreuung, das Zur-Seite-Stehen. Es ist wichtig, dass wir schnell Kontakt zu Therapeuten herstellen können und auch Kosten übernehmen. Das sind Rechtsberatungs- und Therapiekosten, auch Umzugskosten in einzelnen Fällen. Aber zum Glück gibt es jetzt das Opferentschädigungsgesetz, das sicherlich viel abdeckt. Aber der Weiße Ring ist derjenige, der so-fort da ist.
– Können Sie Beispiele für die Hilfe des Weißen Rings nennen, Fälle, die auch durch die Medien gegangen sind?
Da war in den 1980er Jahren der Anschlag auf die Diskothek „La Belle“ in Berlin, wir haben Opfer teilweise 15 Jahre lang begleitet. Da waren die Amokläufe in Erfurt und Winnenden. Dazu kommt der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt. Der Weiße Ring ist immer und für alle Opfer ansprechbar, auch bei Einbruchdiebstahl zum Beispiel.
n- In welchen Fällen helfen Sie noch?
Durch die Medien gingen auch Betrügereien, Stichwort Enkel- oder Polizistentrick zum Nachteil gerade älterer Frauen. Bei ihnen ist der wirtschaftliche Schaden oft gravierend. Aber für sie persönlich ist es oft viel schlimmer, dass sie sich schämen, darauf hereingefallen zu sein. Dann ist vom Weißen Ring jemand da, der sagt: Wenn man auf einen raffinierten Betrüger reinfällt, ist das kein Grund, sich zu schämen.
– Sie sprachen den Anschlag in Berlin an. Wie verändert die Gefahr terroristischer Anschläge Ihre Arbeit?
Wir haben mit diesen Anschlägen, die auf große Menschenmengen zielen, eine ganz andere Qualität. Die Opfer kennen sich oft nicht, bilden aber eine Schicksalsgemeinschaft. Um das überhaupt fassen zu können, muss diese Gemeinschaft unterstützt werden: Die Menschen müssen sich treffen und austau-schen können.
– Gibt es konkrete Maßnahmen des Weißen Rings?
Wir haben kürzlich Leitlinien für unsere Außenstellenmitarbeiter dazu entwickelt, wie sie sich untereinander vernetzen, wie sie ihr Netzwerk etwa mit Notfallseelsorgern sehr schnell in Gang setzen können, damit Betroffene und deren Angehörige rasch Ansprechpartner finden können. Mit dem Leitfaden gehen wir auch an die Innen-, Justiz- und Sozialminister der Länder und sagen: Lasst uns zusammenarbeiten.
– Es bleibt also genug zu tun…
In den 1970er Jahren hatten wir eine Straftat mit einem oder wenigen Opfern an einem Ort. Heute haben wir oft Straftaten mit mehreren Opfern oder Angehörigen an unterschiedlichen Orten. Dann sind bei uns auch unterschiedliche Außenstellen eingebunden. Das muss organisiert werden. Beim Weißen Ring muss es möglichst zügig und unbürokratisch arrangiert werden, und ich glaube, das schaffen wir.