Als Bundestagspräsident lud er den Papst ins Parlament ein und wurde als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten gehandelt. Jetzt zieht sich Norbert Lammert vom Vorsitz der Adenauer-Stiftung zurück.
Er zeigt sich volksnah, ist aber auch ein intellektueller Kopf. Ein geschliffener Redner und Liebhaber klassischer Literatur, glänzt durch Humor. Sein Selbstbewusstsein zeigt sich auch darin, dass er eine eigene Übersetzung des “Vater Unser” vorgelegt und den Text für eine “Deutsche Messe” geschrieben hat.
Norbert Lammert (77) hat die Bundespolitik und die Parlamentsgeschichte der vergangenen Jahrzehnte maßgeblich mitgeprägt. Von 2005 bis zu seinem Rückzug 2017 war er Präsident des Bundestags, in den er 1980 zum ersten Mal gewählt worden war. Der CDU-Politiker war auch als Bundespräsident im Gespräch.
Seit 2018 steht er an der Spitze der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung – nach zuvor 24 Jahren als stellvertretender Vorsitzender. Damit ist am 19. Dezember Schluss. Denn der 77-Jährige hat seinen Rückzug angekündigt. Die Stiftung sei “technisch wie personell gut und schlagkräftig für die Zukunft aufgestellt”, sagte er der “Süddeutschen Zeitung”. Seine Amtszeit sei “von wichtigen strukturellen Veränderungen, einer umfassenden Digitalisierungsoffensive, der Ausweitung von Aktivitäten in Deutschland wie im Ausland” geprägt gewesen.
Auch nach seinem Rückzug aus der Bundespolitik 2017 hat sich Lammert immer wieder in grundsätzliche Debatten eingemischt. Wegen seines Eintretens für die deutsch-israelische Freundschaft und für seine eindrücklichen Worte zum Holocaust-Gedenken erhielt er 2018 den Leo-Baeck-Preis des Zentralrats der Juden.
Der Gesellschaft attestierte der CDU-Politiker eine wachsende Verbissenheit und Verrohung, die auch in der Politik ihre Spuren hinterlasse. “Die Aufgeschlossenheit für das Gemeinsame ist deutlich zurückgegangen, auch im deutschen Parlament.” Mehrfach klagte er über die Qualität der Debatten im Bundestag; es werde zu viel geredet und zu wenig debattiert.
Von einem AfD-Verbot rät der scheidende KAS-Vorsitzende – unabhängig von den Erfolgswahrscheinlichkeiten – ab. “Alle Erfahrungen zeigen, dass sich in kürzester Zeit unter einem neuen Namen gleiche und ähnliche Einstellungen neu versammeln”, sagte er Ende 2023 dem Portal t-online. “Zumal damit das zusätzliche Risiko verbunden ist, die Frustration eher zu vergrößern und damit auch die Attraktivität der Verbotenen.” Die Auseinandersetzung müsse politisch geführt und von den Wählerinnen und Wählern entschieden werden.
Den öffentlich-rechtlichen Medien las der Parlamentspräsident, der sich im Bundestag auch als Medien- und Kulturpolitiker einen Namen gemacht hatte, mehrfach die Leviten und forderte mehr Aufmerksamkeit für politische Berichterstattung: 2009 verlas er während der konstituierenden Sitzung des Bundestags das Vormittagsprogramm von ARD und ZDF – statt der Eröffnungsreden gab es dort belanglose TV-Komödien.
Lammert, den die “Welt” einmal als “geübten Strippenzieher hinter den Kulissen” charakterisierte, wurde als erstes von sieben Kindern einer Bäckermeisterfamilie in Bochum geboren. Er studierte von 1969 bis 1972 Politik, Soziologie, Neuere Geschichte und Sozialökonomie in Bochum und für ein Semester in Oxford. NRW-Landesgruppenchef im Bundestag, profilierter Kulturpolitiker, Staatssekretär, so lauteten politische Stationen des Sozialwissenschaftlers.
Lammert gehört auch zu der immer geringer werdenden Zahl katholischer Politiker, für die ihr Glaube auch öffentliche Relevanz besitzt. Immer wieder trat er auf Katholikentagen auf. Der einstige Stipendiat des bischöflichen Cusanuswerks lud Papst Benedikt XIV. 2011 zur Rede vor dem Bundestag ein. Legendär ist das Bonmot von Unionsfraktionschef Volker Kauder, der beim Papst-Besuch im Bundestag mit Blick auf Lammert gesagt haben soll, nun säßen “zwei Unfehlbare” im Parlament.
Sich selbst bezeichnete er in einer Predigt als “protestantisch veranlagten Katholiken”. Auf seine Initiative ging ein Appell zurück, in dem prominente Christen 2012 zur Überwindung der konfessionellen Trennung aufriefen. Der damalige Bischof von Regensburg und spätere Präfekt der Glaubenskongregation, Gerhard Ludwig Müller, schalt Lammert daraufhin einen “theologisierenden Politiker”.
Solche Kritik focht den Katholiken, der mit einer ehemaligen Religionslehrerin verheiratet ist und vier Kinder hat, nicht an. Immer wieder nutzte er seine Position, um innerkirchliche Reformen einzufordern. Den Ausstieg der katholischen Bischöfe aus der Schwangerenkonfliktberatung 1999 kritisierte er als Fundamentalismus und unterstützte die von prominenten Katholiken gegründete Beratungsorganisation “Donum Vitae”.