Das Leben feiern mit guter Gastfreundschaft: Das will Ilan Oraizer, der in Berlin jetzt das erste koschere Hotel Deutschlands eröffnet hat. Ein Besuch in einer jüdischen Einrichtung, die allen Menschen offen stehen soll.
Der Salat geht zunächst einmal baden: in Salz-Essenz, stundenlang. Ilan Oraizer, ein Mann in Jeans, Blazer und leuchtend blauen Turnschuhen, steht in der Küche und erklärt lebhaft, worum es dabei geht. “Haben Sie schon mal mit einem Mikroskop geschaut, was da alles noch krabbelt, wenn man nur normales Wasser nimmt?” fragt er. Alle Insekten müssten entfernt werden, sonst sei der Salat nicht koscher.
Oraizer ist Gründer und Geschäftsführer des King David Garden Hotel – dem ersten und einzigen “komplett koscheren Hotel in Deutschland”, wie er stolz erzählt. Es erinnert mit seinem Namen an den weltberühmten Namensvetter in Jerusalem, das fünf-Sterne-Hotel King David. Das hier ist deutlich kleiner, hat zehn Zimmer und liegt in einer ruhigen Seitenstraße im Südwesten Berlins.
Der 53-jährige stammt aus Israel, lebt aber seit 15 Jahren in Deutschland. Sein Hotel sei bis kommenden Februar nahezu ausgebucht, erzählt er. In wenigen Stunden reise eine Familie aus Israel an. Für Rosch Haschana, das jüdische Neujahrsfest, das Anfang Oktober begangen wird, habe sich eine Gruppe aus New York angesagt.
Es gebe durchaus einen Markt für koschere Hotels im deutschen Sprachraum, bestätigt Aron Schuster, Geschäftsführer der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST). “Es ist ein spezieller Kreis, aber auch der hat das Verlangen, Urlaub zu machen.” Vor allem Gäste aus dem Ausland fühlten sich dadurch angesprochen.
Die Zentralwohlfahrtsstelle ist Träger vom “Kurheim Beni Bloch” im bayrischen Bad Kissingen, das auch nach den jüdischen Gesetzen betrieben wird. Ein Hotel im engeren Sinne sei es aber nicht, so Schuster. Vorrangig würden Integrationsmaßnahmen und Bildungsaufenthalte für Senioren aus jüdischen Gemeinden angeboten. Dies seien überwiegend Zugewanderte aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Eher vereinzelt kämen auch Privatgäste in das 1993 eröffnete Haus.
Was macht ein koscheres Hotel aus? “Alles Digitale ist an Sabbat zum Beispiel verboten”, sagt Ilan Oraizer. Das heißt, digitale Zimmerschlüssel sind tabu. Am Türrahmen von jedem Zimmer ist zudem eine Mezuza angebracht – ein kleines Röhrchen, das hebräische Worte aus der Tora enthält und an die Verbundenheit mit Gott erinnern soll. Auch Gebetsriemen können bei Ilan ausgeliehen werden – “wenn das Beten vor dem Essen mal schnell gehen muss.”
An diesem herbstlichen Mittag in Berlin sitzt eine Frau mit dunklen Locken am Tisch des hoteleigenen Restaurants und isst zu Mittag – Hummus mit Brot, dazu Gurken-Tomatensalat. Andere Gäste trinken kochendheißen Kaffee mit Kardamom, eine israelische Spezialität. In der Ecke des Raumes befindet sich ein Waschbecken – zur rituellen Händewaschung vor jeder Mahlzeit.
Ein Mann und eine Frau im mittleren Alter kommen herein – sie wollen für zu Hause koscheres Fleisch kaufen. Ilan bittet sie in den Nebenraum, wo er einen koscheren Shop eingerichtet hat. Dort gibt es in großen Kühltruhen vom Rabbi zertifiziertes Hühner- und Rindfleisch, außerdem Challa, mit Mohn bestreut – der Hefezopf, der an keinem Sabbatabend fehlen darf.
Avraham, schwarze Hose, weißes Hemd, grauer Bart und Brille, schaut in der Küche dem Koch über die Schulter, der sorgfältig den Fettrand von einem Hühnerbrustfilet abschneidet. Er ist als “Maschgiach” dafür zuständig, im Hotel dafür zu sorgen, dass das Essen jüdischen Speisevorschriften – den “Kaschrut” – entspricht. Zum Beispiel muss er die Eier öffnen – um sicherzugehen, dass kein Blut enthalten ist. Das gilt in der jüdischen Küche als nicht-koscher.
Koch Andre, der aus Israel stammt, bereitet bisher nur fleischige Gerichte zu. Eine milchige Küche muss erst noch eingerichtet werden. Aber das Besteck dafür habe er schon, erklärt Ilan: Damit gesichert ist, dass Milch nicht mit Fleisch in Berührung kommt, wird das goldfarbene Besteck im Restaurant nur für Fleischgerichte verwendet, das silberglänzende für Milch.
An Sabbat hat das Restaurant geschlossen – die meisten Mitarbeiter sind Juden, dürfen an diesem Tag nicht arbeiten. Ilan bietet deshalb spezielle Warmhalteplatten an, damit die Gäste auf ihren Zimmern an diesem Tag Essen genießen können, ohne Elektrik zu benutzen – denn auch das ist verboten. “Religiöser Jude zu sein ist ein Fulltime-Job”, sagt er.
Das Hotel liegt schräg gegenüber von der Zentralen Synagoge der Jüdischen Gemeinde Chabad Berlin. Die Gäste des Hotels King David Garden können also an Sabbat in den Gottesdienst gehen – und sich trotzdem an die Gesetzesvorschriften halten. “Das ist praktisch”, sagt Oraizer. Als streng gläubiger Jude dürfe man an Sabbat keine Bahn besteigen und auch nicht Auto fahren.
Seine Verwandtschaft stammt teilweise aus Berlin. Viele wurden im Holocaust ermordet, in Auschwitz, in Treblinka. Ein Teil konnte sich nach Israel retten. Trotz allem ist er nach Deutschland zurückgekehrt, damals vor 15 Jahren. Er baute ein großes Reiseunternehmen auf, das Israelis, die nach Deutschland reisen, ihren Aufenthalt erleichtern soll. Ilan fühlt sich hier wohl, freut sich, dass er in Deutschland eine Chance bekommen hat. “Jüdischer Verstand und deutsche Regeln – das ist nicht so schlecht, damit kann man Erfolg haben”, sagt er.
Der 7. Oktober? “Der hat für mich alles, das ganze Leben, verändert”, sagt er, der an diesem Tag Geburtstag hat. Seine Tochter, 20 Jahre alt, war an diesem Tag in der israelischen Armee im Gazastreifen eingesetzt und kämpfte gegen Hamas-Terroristen; sie ist weiterhin Soldatin in diesem Krieg.
Trotz allem versuche er, positiv zu bleiben. Er wolle “just good vibes” für all seine Gäste. “Frieden ist möglich”, sagt er mit Nachdruck. In der Hotelküche habe auch schon ein arabischer Koch gekocht – er sei sehr interessiert an koscherer Küche gewesen. Grundsätzlich stehe das Hotel allen offen, auch nicht-jüdischen Gästen.
Ilan selbst ist kein orthodoxer Jude. Nicht mehr jedenfalls. Er erzählt von seiner Jugend in Israel. Damals geriet er mit seinem Lehrer aneinander, weil für ihn viele der strengen jüdischen Gesetzesvorschriften nicht ersichtlich waren. Wutentbrannt lief er auf die Toilette – und schnitt sich dort die Schläfenlocken ab. Es war sein Abschied vom orthodoxen Judentum.
Seinen Frieden habe er mit Gott dennoch gemacht, sagt der Geschäftsmann. Die Aufgabe eines jeden Juden könne unterschiedlich sein. Seine sei dieses Hotel. “Ich tue eben eher im Hintergrund meinen Dienst”, sagt er.