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Mit Herz gegen die Angst

Auch im christlichen Bereich gibt es Hasskommentare, falsche Nachrichten, Beleidigungen. Das Berliner Projekt „Netzteufel“ ist ihnen auf die Spur gekommen. Und will was gegen sie tun

terovesalainen - stock.adobe.com

Diese Erfahrung dürfte fast jeder gemacht haben, der irgendwo in den sozialen Netzwerken oder auf Kommentarseiten von Online-Portalen unterwegs ist: Dass da Dinge zu lesen sind, deren verbale Aggressivität einem den Atem stocken lässt. Hasskommentare, Mobbing, Vereinfachung komplexer Probleme, Fake-News, also manipulierte „Wahrheiten“: Die digitale Welt machts möglich, dass jede noch so absurde Meinungsäußerung, jeder Pseudo-Fakt rasendschnell in alle Welt hinausposaunt werden kann.
Vernunft oder Mitgefühl sucht man oft vergebens. Ebenso wie die Bereitschaft zu einer sachlichen Debatte. Im Gegenteil: Die ist oftmals gar nicht gewollt, weil die „User“ (die „Benutzer“) am liebsten in ihrer geschlossenen Meinungsblase bleiben. Menschen, die versuchen, Hass, Unvernunft, populistische und rechtsextreme Äußerungen kritisch zu hinterfragen und mit den Absendern in eine echte Diskussion einzutreten, geraten dabei schnell an ihre Grenzen (siehe UK 30/2018, Seite 10).

Menschenfeindlichkeit christlich legitimiert

Auch auf christlichen Internetportalen werden „toxische Narrative“ verbreitet, das heißt: Behauptungen oder vermeintliche Wahrheiten, die eine „giftige“ oder „vergiftende“ Botschaft enthalten. Solchen „Narrativen“ im Netz geht aktuell die Evangelische Akademie zu Berlin nach. „Netzteufel“ heißt das im Oktober 2017 gestartete und auf zwei Jahre angelegte Projekt, mit dem die Akademie die Verbreitung „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit im Namen des christlichen Glaubens“ in den sozialen Medien untersucht. Gefördert wird es vom Bundesfamilienministerium.
Konkret ausgewertet haben Projektleiter Timo Versemann und sein Team bisher das Jahr 2017 in drei christlichen Internetangeboten: „Kath.net“, ein seit 1999 in Österreich betriebenes privates Online-Magazin, das unter anderem tägliche Nachrichten aus der römisch-katholischen Kirche präsentiert, „Christen in der AfD“ und „Idea“, die Nachrichtenagentur der Evangelischen Allianz. In den Blick genommen wurden dabei Beiträge und Kommentare, die „mit christlichen Bezügen formuliert oder durch den christlichen Glauben legitimiert werden“.
Vorausgegangen waren Gespräche mit Ilse Junkermann, der Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, und Markus Dröge, dem Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg. Beide müssen, wie andere kirchenleitende Personen auch, immer wieder Erfahrungen machen mit Hassmails und verbalen Angriffen im Internet. Auf diesem Wege wurden, so Versemann, „Akteure identifiziert“ und Querverbindungen und Vernetzungen der einzelnen Akteure ausgemacht. So kam eine erste inhaltliche Sichtung zustande, der dann die genaue Analyse folgte, deren Ergebnisse inzwischen vorliegen.
Danach gibt es fünf so genannte „Hauptnarrative“, also wesentliche Äußerungen, die in den christlichen Netzangeboten Verbreitung und Anhänger finden (siehe Kasten unten): „Der Islam bedroht uns“, „Homosexualität bedroht Gottes Ordnung“, „Flüchtlinge unterwandern das Sozialsystem“, „Der Genderwahnsin ist reine Ideologie“ und „Wir leben in einer Meinungsdiktatur“. Verbunden seien sie alle, so heißt es, durch die Idee „Wir werden bedroht – Die Endzeit naht“. Sie sei die Grundlage für Feindseligkeiten, Ausgrenzungen, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und schließlich auch für Hassrede und tauche in verschiedenen Eskalationsstufen auf.

Werkzeuge gegen Hass und Lüge

Woher solche Äußerungen auch im christlichen Bereich plötzlich kommen? Für den Theologen Versemann ist die Sache relativ klar: „Hier werden Einstellungsmuster offenbar, die immer schon da waren“. Verkürzungen seien, so heißt es auf der „Netzteufel“-Seite, immer schon ein Teil christlicher und kirchlicher Geschichte gewesen, im Konstruktiven wie im Destruktiven. Aus diesem Gedanken leitet sich der Projektname „Netzteufel“ bzw. „Der Teufel auch im Netz“ ab – als Sinnbild für eine christliche Tradition der Verbildlichung und Mahnung vor Dämonisierung.
Bei der Offenlegung der Fakten und Mahnung will der „Netzteufel“ aber nicht stehenbleiben. Obwohl auf den untersuchten Internet-Portalen zum Teil bereits konstruktive Diskussionen geführt würden, ist mit dem Projekt „Netzteufel“ Versemann zufolge  auch der Anspruch verbunden,  Menschen im kirchlichen Bereich Werkzeuge an die Hand zu geben, mit denen sie etwa falschen Nachrichten („Fake News“), Hasskommentaren oder Verkürzungen begegnen können: kritische Erörterung etwa, Ironisierung oder klare Positionierung.
Wichtig seien zudem eine Debatte über Regeln einer digitalen Ethik und eine theologische Vertiefung des Themas. Dabei appelliert Versemann auch an eine christliche Grundtugend: „Die Herzenspositionen der Nächstenliebe sollen nicht untergehen gegen die verbreiteten Konstruktionen von Angstbildern“, sagt er im Gespräch mit UK. Allerdings gebe es dafür leider keinen roten Knopf, den man drücken könne und alles sei gut. Das sei ein langer Prozess.
Als „Erste Hilfe“ bietet die Evangelische Akademie zu Berlin nun nicht nur kritische, auch biblisch begründete, Nachfragen zu den zitierten „Narrativen“ auf ihrer Homepage, sondern auch Seminare. Vom 6. bis 7. September etwa sollen Menschen zusammenkommen, um  Wege zu entwickeln, die „from Hatespeech to Hopespeech“ führen: von der Hassrede zur Hoffnungsrede.

Mehr Informationen im Internet unter: