Appell und Selbstkritik: Altkanzlerin Angela Merkel (CDU) hat beim evangelischen Kirchentag in Hannover größere Anstrengungen im Kampf gegen den Klimawandel gefordert. Auf ihre eigene Amtszeit zurückblickend sagte sie am Donnerstag: „Gerecht werden wir dieser Menschheitsaufgabe bis heute nicht.“
Für sie sei die Frage nach wie vor offen, „ob wir Menschen willens und in der Lage sind“, im Sinne der Vorsorge entsprechend den Warnungen und Einschätzungen von Experten zu handeln. „Der Beweis dafür ist bis heute nicht erbracht“, sagte Merkel und ergänzte, das gelte für Deutschland wie für den Rest der Welt. „Diese Feststellung lastet schwer auf uns, auch auf mir“, sagte Merkel, die von 2005 bis 2021 deutsche Regierungschefin war.
Die Altkanzlerin, die aus einem protestantischen Pfarrhaus stammt, gehörte während dieser Zeit auch zu den regelmäßigen Gästen des alle zwei Jahre stattfindenden Deutschen Evangelischen Kirchentages. Bei der am Mittwochabend eröffneten 39. Auflage des Christentreffens in Hannover gestaltete sie eine sogenannte Bibelarbeit, bei der an jedem Morgen Prominente aus Politik, Kirche und Gesellschaft eine Bibelstelle auslegen. Merkels Auftritt in einer voll besetzten Halle auf dem Messegelände der niedersächsischen Landeshauptstadt am Donnerstagmorgen wurde von 5.000 Menschen umjubelt.
Der Kirchentag, der sich als Glaubensfest und Debattenforum gleichermaßen versteht, findet bis Sonntag in Hannover statt. Auf dem Programm stehen rund 1.500 Veranstaltungen, darunter Bibelarbeiten, Gottesdienste, Diskussionsforen, Workshops und kulturelle Angebote.
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) kritisierte am Donnerstag bei einer Bibelarbeit, dass die Bereitschaft, einander zuzuhören, abgenommen habe. „Das fängt schon bei uns selbst an, wenn wir eine vorgefertigte Meinung haben, einander das Wort abschneiden, uns lieber mit Gleichgesinnten umgeben“, sagte der Katholik Kretschmann. Zudem stellten „Populisten, die aufhetzen und spalten, Trolle, die Lügen verbreiten und Radikale, die Andersdenkende niederbrüllen“, eine Bedrohung für die Debattenkultur dar.
In der Debatte um politische Einmischungen der Kirchen rief der geschäftsführende Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) Christen dazu auf, Streit nicht auszuweichen. „Es muss doch verflixt nochmal so sein, dass gerade jetzt in diesen Zeiten engagierte Christinnen und Christen sich einmischen“, sagte Heil : „Eine stumme Kirche ist eine dumme Kirche.“ Der SPD-Politiker ist Mitglied im Präsidium des Kirchentages.
Auch der hannoversche Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) ermutigte die Kirchen, zu politischen Fragen Stellung zu beziehen. „Kirche soll sich einmischen – auf mutige und beherzte Art“, sagte Onay am Mittwochabend bei einem Empfang anlässlich der Kirchentagseröffnung.
Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Kirsten Fehrs, sagte am Donnerstag: „Christentum ist eine öffentliche Angelegenheit.“ Christinnen und Christen verträten Werte wie Solidarität und Nächstenliebe, die 2.000 Jahre alt seien.
Wenn man Kirche in eine politische Ecke dränge, ärgere sie das. Denn was Themen wie die Bewahrung der Schöpfung, den Schutz des Lebens und Menschenwürde angehe, fühle man sich mit allen demokratischen Parteien verbunden. Natürlich gebe es aber manchmal unterschiedliche Einschätzungen – wie etwa in der Migrationspolitik.