Amnesty International und Ärzte ohne Grenzen warnen vor einer faktischen Abschaffung des europäischen Asylrechts. Die deutsche Stimme sei bei der Abstimmung der EU-Innenminister an diesem Donnerstag entscheidend, erklärten die Menschenrechtsorganisationen (Mittwochabend) in Berlin. Nur mit deutscher Zustimmung sei aller Voraussicht nach eine Mehrheit im Rat möglich.
Nach Informationen der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” soll die Bundesregierung nun weiteren Verschärfungen des EU-Asylrechts zustimmen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) habe ein Machtwort gesprochen und stelle so die deutsche Zustimmung zur sogenannten Krisenverordnung sicher, hieß es.
Die Vizegeneralsekretärin von Amnesty Deutschland, Julia Duchrow, nannte die Reformvorschläge einen Verrat an den Rechten von Menschen auf der Flucht; sie bereiteten einer faktischen Abschaffung des europäischen Asylrechts den Weg. Duchrow weiter: “Diese Vorschläge werden die bestehenden Herausforderungen der europäische Asylpolitik nicht lösen, sondern weiter verschärfen und den rechtsstaatlichen Zerfall der Europäischen Union vorantreiben.”
Auch die Organisation Ärzte ohne Grenzen warnte vor einer Zustimmung Deutschlands. Dies wäre katastrophal; es würde den Ausnahmezustand an den Außengrenzen rechtlich zementieren und so zu noch mehr mehr Leid führen, sagte die Vorstandsvorsitzende Parnian Parvanta. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem dürfe nicht auf Auslagerung, Abschreckung und Abschottung basieren. Parvanta wörtlich: “Die Verordnung wäre ein weiterer Schritt hin zu einem Europa, in dem Werte wie Menschenwürde und Flüchtlingsschutz nicht zählen und humanitäre Prinzipien keine Beachtung finden.”
Amnesty International forderte, die Bundesregierung dürfe vor der “menschenfeindlichen Rhetorik” der vergangenen Wochen nicht einknicken, indem sie durch Scheinlösungen Handlungsfähigkeit suggeriere. Es brauche weiterhin mehr Solidarität bei der Aufnahme von Schutzsuchenden und ein echtes Bekenntnis zu Menschenrechten.
Durch die vorliegende Krisenverordnung sollen im Fall einer Krise, höherer Gewalt oder einer Instrumentalisierung von Schutzsuchenden erhebliche Abweichungen von Verfahrensstandards möglich sein. Die Registrierung Schutzsuchender könnte laut Amnesty künftig bis zu vier Wochen ausgesetzt und das Grenzverfahren verlängert werden. Standards bei der Unterbringung und den Verfahren können weiter gesenkt werden.
Durch ständige Ausnahmen würden Mindeststandards unterschritten, das Asylrecht fragmentiert und Menschenrechtsverletzungen legitimiert, betonen die Menschenrechtler. Berlin solle mit Nein stimmen oder sich wenigstens enthalten.