Gespräche, die einen packen: Beim Kirchentag in Dortmund war das Rote Sofa der Kirchenpresse wieder ein Publikumsmagnet
Von Gerd Matthias Hoeffchen
Der Kirchentag hat Kraft. Das sieht man in Dortmund in diesen fünf Tagen an allen Orten. Beten, Singen, Feiern überall. Aber Kraft hat die evangelische Laienbewegung nicht nur für den Glauben. Sondern auch in Gesellschaft und Politik. Wie groß diese Kraft sein kann, zeigte sich etwa, als Joachim Gauck aus seiner Vergangenheit in der DDR berichtete. Auf dem Roten Sofa der Kirchenpresse erzählte der Pastor und frühere Bundespräsident davon, welchen Stellenwert evangelische Kirchentage in der DDR hatten: „Der Staat hatte Angst vor der Kirchentags-Bewegung.“ Deshalb seien auch nur regionale Christentreffen erlaubt gewesen; kein großer, wie hier beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dortmund.Mehr als 100000 Menschen sind in die Ruhrgebiets-Metropole gereist. Die meisten von ihnen kommen in diesen Tagen bei ihrem Weg von der Innenstadt zum Messegelände an den Westfalenhallen automatisch an der Bühne des „Roten Sofas“ vorbei – und bleiben stehen. Diese Veranstaltung, die der Evangelische Medienverband auf die Beine stellt, hat sich im Laufe der Jahre zu einem Markenzeichen des Kirchentags entwickelt: kurze, knackige Interviews; Talks, mal bunt und spritzig, mal hintergründig und tief.Wie jetzt. Gauck erzählt. Von der DDR. Wie man versuchte, in diesem ganz anderen System klarzukommen. Und wie sehr es ihn nervt, wenn der westliche Teil des heute geeinten Deutschlands über den östlichen Teil herziehe. „Wenn es bei Ihnen in Stuttgart oder in Köln oder Dortmund DDR gegeben hätte, das hätte genauso mit Ihnen funktioniert wie mit den Leipzigern und Rostockern“, richtet sich der Politiker und evangelische Theologe an die Zuhörerinnen und Zuhörer beim Roten Sofa. Es gebe gewachsene Unterschiede. Man müsse nicht alles gut finden, was dort anders sei, aber man müsse die Herkunft verstehen und sie nicht aus einem „minderen Charakter“ herleiten.Starke Worte. Aber die sind nun mal Kennzeichen des Roten Sofas. Von Donnerstag bis Samstag nehmen 30 Prominente auf diesem Sofa Platz, stellen sich den Fragen der Redakteurinnen und Redakteure der evangelischen Zeitungen, Nachrichten- und Rundfunkagenturen. Die Schauspielerin Uschi Glas erzählt von ihrer Sozialarbeit in München: Essen für hungernde Schulkinder. Bundesaußenminister Heiko Maas warnt eindringlich vor einem Krieg mit Iran. Der Arzt und Friedensnobelpreisträger Denis Mukwege berichtet von systematischen Vergewaltigungen, die im Kongo als Kriegswaffe eingesetzt werden; Kriege, die auch durch den deutschen Waffenhandel befeuert würden. Kardinal Reinhard Marx windet sich sichtlich unter den bohrenden Fragen, die ihm zum Thema „Zölibat“ gestellt werden. Politikerinnen wie die Bundesfamilienministerin Franziska Giffey stehen Rede und Antwort. Künstler wie der Kabarettist Bodo Wartke, dessen tiefsinnige Ausführungen über Fehler, Versagen und Humor die Menschen wie gebannt zuhören lassen. Robert Habeck, der Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Grüne erklärt, warum er kein Fleisch auf den Grill legt, wenn er Gäste zu Besuch hat. Es gibt echte Gänsehautmomente. Etwa, als Thomas Middelhoff auf dem Roten Sofa Platz nimmt. „Ich bin ein Sünder“, sagt er. Middelhoff erzählt von seinem früheren Leben als Top-Manager von Weltkonzernen wie Bertelsmann oder Karstadt. Es ist eine Beichte: „Ich bereue, was ich Menschen angetan habe“, bekennt er. „Ich konnte nicht genug kriegen. Geld, Einfluss. Vor allem aber Anerkennung.“ Middelhoff lässt die gut 1000 Zuhörerinnen und Zuhörer in tiefem Schweigen zurück. Zum Teil wohl auch in Verwirrung. Vom Saulus zum Paulus: Kann man dem Mann das abnehmen?Es sind solche Augenblicke, die das Rote Sofa ausmachen: Die, die dort sitzen und erzählen, sind nicht nur prominent. Sie sind auch Menschen. Und denen kann man beim Roten Sofa der Kirchenpresse ganz nahe kommen.