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Mehr Schutz für Kinder und mehr Rechte für Missbrauchsopfer

Betroffene fordern es seit Jahren, nun will die Regierung die Aufarbeitung von Missbrauch auf eine stärkere gesetzliche Grundlage stellen. Für manche ein “Meilenstein”, für andere ein “erster Schritt”.

Der Schutz von Kindern und die Aufarbeitung von Missbrauch sollen verbessert werden. Dazu hat die Bundesregierung am Mittwoch einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht. Betroffene sollen damit ein Recht auf Akteneinsicht in Jugendämtern bekommen.

Zudem soll das Amt der Missbrauchsbeauftragten dauerhaft gesichert und aufgewertet werden. Sie soll künftig regelmäßig einen Bericht vorlegen, in dem es um das Ausmaß sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, Prävention, Unterstützungsangebote sowie Forschung und Aufarbeitung geht. Auch einen Arbeitsstab sowie den Betroffenenrat und die unabhängige Aufarbeitungskommission will die Regierung gesetzlich verankern.

Der Bund will darüber hinaus ein Beratungssystem für Betroffene einrichten. Mit Aufklärung, Sensibilisierung und Qualifizierung wird laut Gesetzentwurf die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung beauftragt. Für mehr Institutionen in der Kinder- und Jugendhilfe soll die Anwendung von Schutzkonzepten verpflichtend werden.

Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) sagte, jeden Tag seien in Deutschland noch immer viel zu viele Kinder von sexuellem Missbrauch betroffen. Laut Kriminalstatistik der Polizei seien es im vergangenen Jahr an jedem Tag im Schnitt 50 Kinder gewesen, davon 6 jünger als sechs Jahre. Es sei geboten, die Prävention weiter zu verbessern. Sexueller Missbrauch passiere vor allem im nahen Umfeld – in der Familie, in der Nachbarschaft, in der Freizeit.

Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, sprach von einem besonderen Tag. Das wichtigste politische Instrument des Gesetzes sei die künftige Berichtspflicht ihres Amtes gegenüber Parlament und Bundesregierung. Diese stelle sicher, dass das Thema Missbrauch “in seiner ressortübergreifenden Bedeutung tatsächlich im politischen Handeln verankert ist”. Ebenfalls wichtig sei, dass das Dunkelfeld der bislang nicht erfassten Taten erforscht und erhellt werden solle.

Claus bezeichnete auch den bei ihr angesiedelten Betroffenenrat und die ebenfalls bei ihr angedockte Aufarbeitungskommission als elementare Säulen. Mit der Kommission, deren Profil mit dem Gesetz geschärft werde, würden andere Stellen ein Gegenüber bekommen, das die eigene Aufarbeitung genau beobachte und diese auch qualitativ bewerten könne. Das geplante Beratungssystem werde für viele Betroffene einen Unterschied machen.

Die aktuelle Aufarbeitungskommission begrüßte den Gesetzentwurf als “Meilenstein”. Die Kommission werde mit der Pflicht, regelmäßig über den Fortschritt der gesamtgesellschaftlichen Aufarbeitung zu berichten, “zur konstruktiven Mahnerin und Impulsgeberin für Politik und Zivilgesellschaft”. Allerdings müsse die ehrenamtlich arbeitende Kommission finanziell und personell besser ausgestattet werden.

Nötig sei auch, die Rechte Betroffener weiter zu stärken. “Keine Institution in Staat und Gesellschaft darf sich der Aufarbeitung verweigern”, erklärte die Kommission. Das Akteneinsichtsrecht dürfen nicht nur für die Kinder- und Jugendhilfe gelten, sondern müsse auch andere Bereiche wie Schule, Sport und Kirchen einbeziehen. Der aktuelle Betroffenenrat erklärte, das Gesetz sei “ein erster Schritt, dass Betroffenen nachhaltig Wege zur Gerechtigkeit eröffnet werden und der Staat die lang eingeforderte Verantwortung übernimmt”.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Lars Castellucci sagte der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), man habe auf den Gesetzentwurf aus dem Familienministerium viel zu lange warten müssen. An die Adresse von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) meinte der SPD-Politiker: “Es darf nicht sein, dass der Schutz Betroffener und Aufarbeitung sexualisierter Gewalt an finanziellen Hürden scheitern.” Die Bundesregierung von SPD, Grünen und FDP hatte ihre Entscheidung zu dem Gesetzentwurf zuletzt mehrfach verschoben.