Aya kann ihr Glück kaum fassen. Ein Koffer voller Geschenke. Nur für sie. Sie packt aus: eine warme Jacke für den Winter, Schal, Mütze, überhaupt viel Kleidung. Aber auch ein Schlafsack, ein Kissen, Gummistiefel, Spielsachen und Leckereien sind dabei. Den haben Ariane und Konstantin Kraft kürzlich aus Deutschland geschickt.
Vater im Krieg vermisst, Mutter bei anderem Mann
Aya kommt aus Syrien. Ihr Vater musste in den Krieg ziehen. Niemand weiß, ob er noch lebt. Die Mutter hat sich einen anderen Mann gesucht, der aber Aya ablehnt. So hat sich die Mutter von ihrer Tochter abgewandt. Aya lebt nun mit ihrer Oma in einem Flüchtlingscamp in der Bekaa-Ebene im Libanon. Sie sind aus Syrien geflüchtet. In diesem Flüchtlingslager ist – neben anderen – die Hilfsorganisation ora-Kinderhilfe aus Berlin aktiv.
All das war vor über einem Jahr in UK zu lesen. Ein Bericht über die Arbeit der Organisation, über die Situation von Kindern in Flüchtlingslagern – an Ayas Beispiel. Familie Kraft aus Hattingen hat das bewegt. „Und zwar so, dass ich gleich zum Telefon gegriffen habe und mich bei UK konkreter informiert habe“, sagt Konstantin Kraft. „Am liebsten hätten wir Aya sofort adoptiert“, ergänzt Ariane Kraft. „Aber den ,Adoptionszahn‘ hat uns Carmen, eine ora-Mitarbeiterin, schnell gezogen. Schließlich hat Aya ihre Oma. Und überhaupt ist das nicht so ohne.“
Doch der Kontakt zu ora war geknüpft, Ayas Schicksal und das der anderen Flüchtlinge lag Familie Kraft am Herzen. Auch die beiden Söhne Finn (14) und Felix (4) interessierten sich von Anfang an dafür. „Felix konnte kaum fassen, dass Aya von ihrer Mutter verlassen wurde und Sommer wie Winter in einem Zelt leben muss. Dass sie kein Zuhause mehr hat“, sagt Konstantin Kraft. So war klar, dass Krafts helfen wollen. So konkret wie möglich.
„Seit einem Jahr sind wir nun mit Aya in Kontakt.“ Anfangs ließen sie ihr über die ora-Kinderhilfe Geld zukommen. „Dann wollte ich mal direkt Geld in den Libanon überweisen und ging zur Bank“, erzählt Konstantin Kraft. „Doch das war schwierig, ich musste mich ausweisen – die wollten sonst was von mir wissen. Ich geriet gleich in Terrorverdacht.“ Der Libanon stehe auf der „schwarzen Liste“ der Banken.
Inzwischen haben Krafts Kontakt mit den Projektleitern vor Ort. „Über WhatsApp schicken wir Nachrichten, Fotos und Videos hin und her.“ Das Ehepaar hofft, dass die Neunjährige durch ihre Unterstützung bald regelmäßig in die Schule gehen kann.
Familie Kraft lebt in einem Reihenhäuschen in der Nähe der Ruhr. Konstantin verdient sein Geld mit Musik: als Klavierlehrer, als Klavierstimmer. Und er sitzt oft selbst an den Tasten – sei es eine Orgel oder ein Klavier. Außerdem steht der größte Raum des Hauses voller Klaviere, die er verkauft. Manche muss er erst auf Vordermann bringen. Ariane arbeitet als Erzieherin.
Schon als Kind hat Konstantin Kraft viel von der Welt gesehen: Seine Eltern, eine Biologin und ein Ingenieur, haben immer wieder auch im Ausland gearbeitet: Ägypten, Marokko, Tunesien, Libanon. „Als Siebenjähriger habe ich den Sechs-Tage-Krieg in Kairo miterlebt. Daher kann ich mir ein bisschen vorstellen, wie sich Kriegskinder fühlen müssen.“ Seine Eltern haben ausländische Studenten beherbergt oder Pakete in Krisengebiete geschickt. „Helfen war bei uns normal und selbstverständlich.“
Der christliche Glaube hat bei Krafts schon immer eine wichtige Rolle gespielt. Als Kind war Konstantin Messdiener, er wuchs katholisch auf. Später setzte er sich mit anderen Religionen auseinander. „Ich landete wieder beim Christentum, bin dann aber zur evangelischen Kirche übergetreten“, sagt er. „Wie man es auch dreht: Glauben muss man immer noch selbst und die Beziehung zu Gott gestalten.“
Sich vom Elend nicht runterziehen lassen
Heute spenden Krafts regelmäßig Geld an verschiedene Hilfsorganisationen. „Aber es ist toll, mit Aya nun einen konkreten Menschen zu haben, dem wir helfen können.“ Gerade das Schicksal von Kindern liegt dem Ehepaar besonders am Herzen. „Wenn ich die Nachrichten sehe, denke ich oft, man müsste noch viel mehr helfen. Unsere Kinder haben das Paradies auf Erden, während anderswo Kinder dem Krieg ausgesetzt sind und wenig Zukunftsperspektive haben.“ Gleichzeitig ist ihm wichtig, sich nicht von all dem Elend runterziehen zu lassen und sich zu überfordern. „Ich kann mir auch mal was gönnen und das genießen. Aber ich finde, Reichtum verpflichtet. Das muss sich die Waage halten.“ Hilfe heißt für ihn auch Nächstenliebe, zum Beispiel mal mit einem Obdachlosen zu reden und nicht wegsehen.
Seine musikalische Begabung nutzt er auch, um für die ora Kinderhilfe zu werben. Mit der ora-Mitarbeiterin Carmen Schöngraf tourt er durch Gemeinden: „Ich gebe ein kleines Konzert und Carmen berichtet über ihre Arbeit.“
Im Herbst möchte er selbst in den Libanon fliegen und Aya besuchen. „Beirut soll einigermaßen sicher sein. Es wäre toll, Aya von Angesicht zu Angesicht zu treffen.“
Informationen im Internet: www.ora-kinderhilfe.de; www.klavierhaus-kraft.de.