Die sogenannten Verschickungskinder erhalten erstmals in Deutschland ein Mahnmal für ihre vielfach traumatischen Erlebnisse in der Nachkriegszeit: Die Diakonie Niedersachsen stellt am Samstag (16. März) in Bad Salzdetfurth bei Hildesheim eine Gedenkstele auf. „Wir wollen einen Ort schaffen, der für das Leid der Verschickungskinder steht“, sagte Vorstandssprecher Hans-Joachim Lenke dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zugleich solle an drei tragische Todesfälle erinnert werden, die sich 1969 innerhalb kurzer Zeit im damaligen „Waldhaus“ in Bad Salzdetfurth ereigneten.
Zwischen Ende der 1940er bis in die 1980er Jahre hinein wurden in Deutschland rund zwölf Millionen Jungen und Mädchen in Kinderkurheime verschickt, um dort gesundheitlich aufgepäppelt werden. Doch viele von ihnen kehrten traumatisiert zurück. Sie berichteten von Essenszwang durch das Pflegepersonal bis hin zum Erbrechen und von harten Strafen wie Schlafentzug oder Ans-Bett-Fesseln. Das „Waldhaus“ in Bad Salzdetfurth, ein inzwischen abgerissenes Fachwerkhaus am Rand des Kurortes, war eines dieser sogenannten Erholungsheime.
Im Frühjahr 1969 kamen dort drei Kinder ums Leben. Am 18. März starb der siebenjährige Stefan aus Obernkirchen bei Stadthagen. Wahrscheinlich erstickte er, weil er zu spät zum Abendessen kam und daraufhin gezwungen wurde, es hinunterzuschlingen. Zwölf Tage später, am 30. März, starb die sechsjährige Kirsten aus Hamburg, offiziell an einer Infektion. Es fanden sich aber auch Speisereste in ihrer Lunge. Am 18. Mai schließlich kam der dreijährige André aus Berlin ums Leben. Er war von drei anderen Jungen im Haus brutal verprügelt worden.
Die rund 1,30 Meter hohe Sandsteinstele soll direkt neben dem Museum der Stadt an alle drei Kinder erinnern. „Wir wollen einen Ort schaffen, der öffentlich dokumentiert, dass im Waldhaus drei Kinder in unserer Obhut und damit auch in unserer Verantwortung zu Tode gekommen sind“, sagte Lenke. Das Kurheim befand sich damals in Trägerschaft der Inneren Mission, einer Vorläuferorganisation der Diakonie. Es wurde Ende 1969 aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen. Im Museum ist eine eigene Abteilung den Verschickungskindern gewidmet.
Zur Einweihung der Gedenkstele werden auch etwa 20 ehemalige Verschickungskinder und ihre Angehörigen erwartet, darunter auch die inzwischen hochbetagte Mutter und der Bruder des kleinen André.