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“Kreuz ohne Haken” gegen völkische Nachbarn

Die Kreuze in den Signalfarben gelb und pink hängen an Fachwerkgiebeln, stehen an Hofeinfahrten und lehnen an Gartenzäunen. Es gibt sie im Kleinformat als Autoaufkleber, und die Handballer eines örtlichen Sportvereins tragen sie auf ihren Trikots. Die Aufschrift auf den diagonalen Balken lautet: „Kreuz ohne Haken – fUEr Vielfalt“.

Die meterhohen Holzkreuze sind das Markenzeichen der „Gruppe beherzt“. Mehr als 1.500 seien bisher aufgestellt worden, sagt der Sprecher der Initiative, Martin Raabe. Der 75-Jährige ist Pastor im Ruhestand und lebt in Altenebstorf im Landkreis Uelzen. Dort hatten die Kreuze vor genau fünf Jahren ihre Premiere. Die Schreibung des Wörtchens „fUEr“ verweist darauf – UE ist das Autokennzeichen des Landkreises. Doch längst ist das Symbol darüber hinaus zu sehen, etwa in Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein oder Thüringen.

Am Sonnabend ist dieses Engagement mit einem bundesweiten Preis gewürdigt worden: Die Initiative wurde mit dem mit 10.000 Euro dotierten Julius-Rumpf-Preis der Martin-Niemöller-Stiftung mit Sitz in Wiesbaden geehrt. Prominente Laudatorin der Feier in der Ebstorfer Klosterkirche war dabei Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD).

Die „Gruppe beherzt“ will nach eigener Aussage für ein „demokratisches, menschenfreundliches Miteinander“ werben. Und über „Umtriebe und Gruppen“ aufklären, die die Demokratie gefährden. Gemeint sind damit völkische Siedler, die in den Landkreisen Uelzen, Lüneburg und Lüchow-Dannenberg einen Schwerpunkt haben. „Sie erscheinen als nette, ordentliche Familien“, erklärt Martin Raabe. „Im Dorf machen sie sich unentbehrlich und versuchen, die Meinungs- und Deutungshoheit zu erlangen.“

Der niedersächsische Verfassungsschutz stuft völkische Siedler als „gefestigte Rechtsextremisten“ ein. Abseits der Städte pflegten sie „eine naturorientierte, ländliche und kleinbäuerliche Lebensweise“ – und zwar „auf der Basis einer völkisch-nationalistischen Ideologie mit rassistischen und antisemitischen Elementen“. Völkische Siedler dächten in Generationen und erzögen ihre Kinder im Sinne ihrer Weltanschauung. Die Indoktrination innerhalb der Familie sei „stark ausgeprägt“, heißt es im Verfassungsschutzbericht.

Die Kinder völkischer Siedler seien oft im Zwiespalt, bestätigt Martin Raabe. Sie bewegten sich „in zwei Lebenswelten“: Auf der einen Seite das völkisch geprägte Zuhause, auf der anderen Seite Institutionen wie die Schule, die von den Eltern abgelehnte Werte vermitteln und den bei ihnen verhassten Staat repräsentieren. „Bei Pädagogen gibt es gegenüber Kindern aus völkischen Familien große Hilflosigkeit“, sagt Raabe. Eine erste Fortbildung für Lehrkräfte habe bereits stattgefunden. „Aber da ist noch viel zu tun“, betont der Pastor.

„Wir wollen kein Feindbild aufbauen, die Kinder müssen eine Chance bekommen“, unterstreicht Isa von Bismarck-Osten. Die 44-Jährige ist eine der Initiatorinnen von „beherzt“. Vor sieben Jahren zog sie vom liberalen Köln aufs Land bei Uelzen. Und lernte bald, die Hinweise auf völkische Familien zu lesen: die diskrete Hakenkreuz-Tätowierung im Nacken, die aus der NS-Zeit bekannte Rune auf einem Fachwerkbalken oder die altmodisch anmutenden germanischen Namen einzelner Kita-Kinder.

„Wir sind hier nicht hergezogen, um in einem braunen Sumpf zu leben“, sagte sich Isa von Bismarck-Osten damals. Mit Mitstreitern lud sie eine Expertin zu einem Vortrag über die völkischen Siedler in der Region ein. „Die Referentin hatte Namen und Orte dabei, das öffnete uns die Augen“, sagt die Redakteurin, die sich selbst zur „bürgerlichen Mitte“ zählt. Es war die Initialzündung für „beherzt“. Auf dem Hof von Bismarck-Osten wurden bald danach die ersten Kreuze gemalt. Heute zählt die Gruppe im Kern 40 Aktive und mehrere hundert Unterstützer.

Martin Raabe, der sein Berufsleben als Seemannspastor begann und zuletzt Leitungsaufgaben bei der Diakonie in Niedersachsen innehatte, vertrat „beherzt“ in der Öffentlichkeit bisher nahezu allein. Er bekam Hass-Mails ab und informierte nach nächtlichen Drohungen am Telefon auch schon mal die Polizei. „Wir waren anfangs in der Rolle der Nestbeschmutzer, weil wir angeblich den Frieden im Dorf störten“, erinnert sich der 75-Jährige. Inzwischen zeigen etliche Unterstützer von „beherzt“ Gesicht und haben sich etwa für die Website mit dem Vielfalt-Kreuz porträtieren lassen.

Mit einem Flyer macht die Initiative auch Verkäufer von Immobilien auf die rechtsextreme Unterwanderung aufmerksam. Systematisch suchten völkische Siedler „nach alten Häusern und Höfen, gern mit Nebengebäuden und Scheunen auf einem weitläufigen Gelände“, heißt es im Faltblatt. Häufig würden sie versuchen, solide Angebote anderer Interessenten zu übertreffen. Die Gruppe rät deshalb: „Augen auf beim Immobilienverkauf! Viele Fragen an mögliche Käufer stellen.“

Der Terminkalender der Initiative ist unterdessen voll gepackt: Informationsveranstaltungen, Vorträge, Fortbildungen, Kundgebungen, erzählt Martin Raabe: „Derzeit bekommen wir Anfragen ohne Ende.“