Von “Wir schaffen das” zu Zurückweisungen an der Grenze. Die frühere CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer hält beide Ansagen für berechtigt – in der jeweiligen Zeit. Und: Kontrollen dürften nicht dauerhaft sein.
Vor zehn Jahren war Annegret Kramp-Karrenbauer Ministerpräsidentin im Saarland und musste die Kommunen dabei unterstützen, ankommende Flüchtlinge unterzubringen. In einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Donnerstag in Berlin blickt die ehemalige CDU-Parteivorsitzende zurück auf den Flüchtlingssommer und ordnet den neuen Migrationskurs der Bundesregierung ein. Und sie begründet, warum sie vor einigen Wochen aus dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) ausgetreten ist.
Frage: Frau Kramp-Karrenbauer, der Satz der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel “Wir schaffen das!” wird zehn Jahre alt. Was denken Sie rückblickend über dieses Statement?
Antwort: Ich halte diesen Satz nach wie vor für richtig. Was wäre das für ein Signal gewesen zu sagen, “die Situation ist schlimm, wir schaffen das nicht”? Man muss sich an die unglaubliche Stimmung im Land zu Beginn des Sommers erinnern. Denken wir an die Bilder im Münchner Hauptbahnhof. Ministerpräsidenten trugen den Sticker “Refugees welcome” und kritisierten die Bundesregierung dafür, nicht offen genug zu sein.
Frage: Also hat die Bundesregierung damals alles richtig gemacht?
Antwort: Natürlich gab es am Anfang auch sehr viel Ungeordnetes. Das habe ich als damalige Ministerpräsidentin des Saarlandes vor Ort mitbekommen. Die Organisation, so viele Menschen unterzubringen und zu versorgen, ist in manchem Bundesland besser gelungen als in anderen. Ich denke, im Saarland waren wir da recht gut aufgestellt.
Frage: War das anfängliche Chaos das einzige Problem?
Antwort: Die Politik – und damit meine ich uns alle, die wir damals Verantwortung getragen haben – ist Antworten schuldig geblieben. Etwa auf die Fragen, wie wir das genau schaffen können und wie lange der Zustand anhält. Das war ein Fehler. Als CDU-Vorsitzende habe ich damals versucht, die Fragen in einem Workshop mit der Partei aufzuarbeiten, aber in der breiten Öffentlichkeit ist das nicht passiert.
Frage: Nun, zehn Jahre später, will die neue Bundesregierung einen härteren Migrationskurs durchsetzen und spricht von einer Migrationswende. Wie sehen Sie das?
Antwort: Ich halte Kontrollen und auch Zurückweisungen an deutschen Grenzen für solange vertretbar, bis bessere europäische Regeln greifen. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem soll im kommenden Jahr in Kraft treten, solange können wir nicht warten. Zugleich muss klar sein, dass das derzeitige Agieren nicht der Normalfall ist.
Frage: Und wie geht es politisch weiter?
Antwort: Deutschland muss schneller und konsequenter werden bei Asylanträgen und Fragen des Bleiberechts. Aufgabe der Politik ist es, Problemlagen zu erkennen und zu Lösungen auf der Grundlage unserer Verfassung zu kommen, etwa wenn es keine ausreichende Zahl an Wohnraum und Kitaplätzen gibt. Ansonsten wenden sich Menschen an andere Parteien, die einfache Lösungen versprechen. Wir müssen damit auch verhindern, dass eine Stimmung entsteht, die sich generell gegen Menschen mit ausländischen Wurzeln richtet. Am Ende geht es um gute Integration.
Frage: Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Position der Kirchen, die einen scharfen Migrationskurs kritisieren?
Antwort: Zunächst einmal finde ich, es ist die ureigenste Aufgabe der Kirchen, sich in die Welt einzumischen. “Wir sind das Salz der Erde” ist ja nicht einfach nur so daher gesagt. Die Kirche darf sich nicht verschließen, zugleich darf sie aber auch keine beliebige Nichtregierungsorganisation werden, so hat es der verstorbene Papst Franziskus einmal formuliert. Das ist kein einfacher Weg und immer eine Gratwanderung. Dass die Kirche damit auch mal über Kreuz liegt mit Regierenden, ist auch nichts Neues und beide Seite müssen es aushalten.
Frage: Immerhin führte eine Stellungnahme der Kirchen, worin diese Anträge und Gesetzentwurf der Union zur Migrationspolitik unter Inkaufnahme der AfD-Zustimmung verurteilten, dazu, dass Sie im Januar das Zentralkomitee der Katholiken (ZdK) verließen.
Antwort: Mich hat an diesem Kirchenpapier weniger die Kritik als die Tonalität gestört, die war sehr apodiktisch. Wir haben bei den derzeitigen Auseinandersetzungen sowieso einen Mangel an Räumen, in denen unterschiedliche Positionen respektvoll voreinander ausgetragen werden können. Das ZdK war für mich immer ein solcher Raum. Das sehe ich im Moment nicht mehr. Positionierungen empfinde ich teils als sehr einseitig. Bei anderen Fragen, etwa der Debatte um eine Lockerung des Abtreibungsrechtes waren wir da in den Formulierung nicht von Anfang an so unmissverständlich klar.
Frage: Die katholische Laienorganisation ist Ihnen also zu einseitig?
Antwort: Ich finde, es ist Aufgabe der Kirchen und ihrer Vertreter sich klarzumachen, dass es unter den Gläubigen ein breites Spektrum verschiedener Meinungen gibt. Kirchenvertreter auch und gerade Laien müssen aufpassen, dass sie nicht ein abgehobenes Eliteprojekt werden. Ein Großteil der Bevölkerung fand damals den Fünf-Punkte-Plan von Friedrich Merz richtig – darunter werden auch viele Katholiken gewesen sein. Kirche sollte klare Positionen beziehen, aber dabei auch Menschen, die anders denken, berücksichtigen.
Frage: Bei der Kritik der Kirchen ging es auch darum, dass die Union ohne Not – es war klar, dass weder Antrag noch Gesetzentwurf am Ende der Legislaturperiode konkrete Auswirkungen haben -, die Zustimmung der AfD in Kauf genommen hat.
Antwort: Darüber kann man sicher streiten, und darüber gibt es auch innerhalb der CDU unterschiedliche Auffassungen. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hat ja selbst vor kurzem in einem Interview die Abstimmung als einen Fehler bezeichnet.
Frage: Ist für Sie eine Rückkehr zum ZdK denkbar?
Antwort: Ich habe dort sehr lange und gerne mitgearbeitet. Gerne engagiere ich mich auch weiter für und in der Kirche. Im ZdK sind jetzt viele neue Köpfe gewählt worden und das finde ich auch gut so.