Die Zukunft gehört den Kleinstädten. Sie sind klein genug, um authentisch zu sein und groß genug, um Wandel zu gestalten“, so lautete die klare Ansage des Bürgermeisters von Wittenberge im Land Brandenburg, Oliver Hermann. Eine notwendige Ansage, denn sie setzt den Fokus auf die Kleinstadt und beendet das ständige Vergleichen mit Großstädten, das lediglich zur Beschreibung von Defiziten führt. Kleinstädte sind eine eigene Welt, sind Perlen, die für sich betrachtet werden müssen.
Gerade junge Familien zieht es wieder in die Kleinstädte. Die Überschaubarkeit macht es möglich, dass Menschen sich hier in der Mitte treffen und gegenseitig zuhören, voneinander lernen und sich stärken. Sie könnten Brücken bauen, Kompromisse entwickeln, mit denen alle gut leben können. „Vielleicht ist die Kleinstadt genau dies: der Struktur und Stein gewordene Kompromiss zum Leben. Denn eine Kleinstadt vereinigt die Vorteile des Dorfes mit den Vorteilen der Stadt. Hier findest Du immer beides, manchmal auch im Streit“, sagt Eva-Maria Menard, Superintendentin im Kirchenkreis Prignitz.
350 Teilnehmerinnen und Teilnehmer treffen sich zum Kleinstadt Kongress
Kleinstädte sind eigen, denn deren Bewohner kennen einander, auch die vom Amt oder die Pfarrerin. Hier sind Dinge schnell geklärt, Unklarheiten und Dank direkt adressierbar. Der Ärger aber auch und die Verantwortlichen sind schnell ausgemacht. Wenn denen dann wegen fehlender Mittel oder langwieriger Prozesse und endlosen Abrechnungsmodalitäten die Hände gebunden sind, dann fühlen sich „Perlenbewohner“ schnell abgehängt und schimpfen auf „die da oben“. Wahlergebnisse inklusive.
In Wittenberge trafen sich zum Kleinstadt Kongress am 25. und 26. Juni die Macher:innen, die Lust am Gestalten haben, denen aber oft die Hände gebunden sind: 350 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus ganz Deutschland, darunter 48 Bürgermeister. Hier wird nicht gejammert, sondern gemeinsam nach Lösungen gesucht. „Die Probleme und die Lösungsansätze sind auch aus der Kirche vertraut“, sagte mir Stephan Flade. Er ist Pfarrer im Ruhestand, engagiert sich auf vielfältige Weise in Wittenberge und war auch beim Kongress dabei.
In Themenarenen wurden verschiedene Schwerpunkte miteinander besprochen. Verteilt in der Stadt, an anschaulichen Orten zu konkreten Themen wie Wohnen, Stadtumbau, Innenstadt und Zukunft. Kirchennutzung könnte auch ein Thema sein.
Die in Kleinstädten Beschäftigen wollen keine Insolvenzverwalter sein, sagt die Zossener Bürgermeisterin Wiebke Şahin-Connolly. Sie wollen ihre Städte gestalten und entwickeln, zu liebens- und lebenswerten (Über)Lebensräumen. Sie wissen, dass die Kleinstädte das Rückgrat des Landes sind, so wie der Mittelstand das der Wirtschaft. Klimakrise, Wirtschaft und Bevölkerung, Infrastruktur und Leerstand und gesellschaftlicher Zusammenhalt sind Themen, die die Teilnehmenden bewegten. Austausch, ganz viel Austausch: Wie macht ihr das bei Euch? Alle gleich beim Du, Weggefährten und Leidensgefährten manchmal auch. Das bringt zusammen.
Oliver Hermann und ich, wir kamen auf dem Kleinstadt Kongress ins Gespräch. Er hat uns, Kirche, direkt und gleich öffentlich eingeladen, mitzudenken und -zutun. 1800 Kirchen im Land Brandenburg sind ein Auftrag für die Kommunen. Historische Zentren, Treffpunkte für Spiritualität und Kultur, Orte aufrichtiger und klarer Gespräche: Sie sind die ältesten Gemeinschaftshäuser der Kommunen. Hierzu miteinander ins Gespräch zu kommen, ist mir ein großes Anliegen. Der Bürgermeister aus Wittenberge betonte, ohne die Kirchen und ihre Mitglieder als Ehrenamtliche gäbe es nur ein unvollständiges Bild unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens.
Einladung für Kirche für den nächsten Kleinstadt Kongress
Ein zentrales Wort dieses Kleinstadt Kongresses ist das Vertrauen. Ob aus Sorge vor Finanzmissbrauch oder ähnlichen Gründen, die große Bürokratie wird als fehlendes Vertrauen empfunden. Warum nicht darauf vertrauen, dass das Geld auch korrekt und antragsgemäß ausgegeben wird? „Punktuelle Proben mit harten Sanktionen bei Missbrauch, ja. Aber die meisten kommunal Verantwortlichen gehen doch verantwortlich mit den Geldern um. Sie brauchen die freie Zeit zum Schaffen und nicht zum Abrechnen,“ so einer der Anwesenden bei einer Diskussionsrunde.
Es war lebhaft und lebensnah in Wittenberge. Die Einladung an Kirche steht. Jetzt schon und in zwei Jahren erst recht, wenn wieder ein Kleinstadt Kongress stattfinden soll. Wer die ausgestreckte Hand nicht fasst, der ist wirklich nicht systemrelevant.
Kristóf Bálint ist Generalsuperintendent im Sprengel Potsdam.