Die Kirchen in Deutschland genießen weiter viele Sonderrechte – auch weil es dem Staat nutzt, wenn sie Schulen und Kindergärten betreiben. Doch Kirchenrechtler Schüller glaubt, dass die “unheilige Allianz” zu Ende geht.
Beziehungsstatus? Kompliziert. Glaubt man dem Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller, leben Staat und Kirchen in Deutschland wie ein altes Ehepaar zusammen. Abnutzungserscheinungen, zunehmende Entfremdung: “Man hat sich nicht mehr viel zu sagen, aber man lebt angenehm nebeneinander her”, schreibt der Professor für katholisches Kirchenrecht an der Uni Münster in seinem am Montag erscheinenden Buch “Unheilige Allianz. Warum sich Staat und Kirche trennen müssen”. Eine Trennung, wie sie das Grundgesetz vorschreibe, falle beiden Seiten offenkundig schwer.
Schüller beschreibt eine “Phase des Übergangs”. Noch gibt es ein eigenständiges kirchliches Arbeitsrecht. Noch sind Kirchenvertreter in Rundfunkräten selbstverständlich vertreten. Noch sei der Staat kaum bereit, sich mit den Kirchen anzulegen. Es gebe eine “Beißhemmung” auch bei Polizei und Staatsanwaltschaften.
Doch mittlerweile gehören weniger als die Hälfte der Deutschen noch einer der beiden Kirchen an. Vor allem die katholische Kirche hat durch den Missbrauchsskandal und Bischofskrisen – Stichwort Tebartz-van Elst – dramatisch an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Das wirkt sich politisch bereits aus: Bei Katholikentagen macht sich die Bundespolitik zunehmend rar. Ob in der Regierungskommission zum Paragrafen 218 oder in der Kommission zur Reform der Fortpflanzungsmedizin: Sie sind nicht mehr vertreten.
Allerdings: Anders als auf Bundesebene sind die Kirchen in den Ländern und Kommunen aus Sicht des Autors weiterhin wichtige Player. Landes- und Kommunalpolitiker seien auf das Engagement der Kirchen und ihrer Verbände im Bildungs- und Sozialbereich angewiesen. Kirchliche Schulen, Krankenhäuser und Kindergärten, Sozialdienste von Caritas und Diakonie und die ehrenamtliche Arbeit: Der Staat habe sich von den Kirchen abhängig gemacht. Sollten sie beispielsweise ihre Kindergärten oder Schulen aufgeben, würde das – zumindest auf absehbare Zeit – große Lücken in der sozialen Infrastruktur reißen. Gebühren- und Steuererhöhungen wären die Folge.
Angesichts dieser bröckelnden “Komplizenschaft” sieht Schüller Klärungsbedarf. Es sei höchste Zeit, dass dieser “unheiligen Allianz” ein Ende gemacht werde. Auf mehreren Gebieten sind aus seiner Sicht kirchliche Privilegien bereits massiv unter Druck geraten. Der Eindruck, dass die Kirchen ein Staat im Staat seien, werde in der immer pluraler werdenden Gesellschaft immer weniger akzeptiert.
So sorgen die Gerichte – insbesondere der Europäische Gerichtshof – dafür, dass die Kirchen ihr eigenes Arbeitsrecht liberalisieren müssen. Kirchliche Arbeitnehmer, die nach Scheidung wieder heiraten oder in einer Homo-Ehe leben, können deshalb in der katholischen Kirche nicht mehr gekündigt werden. Dass ein Kirchenaustritt weiterhin ein Kündigungsgrund ist, könnte schon bald der Vergangenheit angehören, vermutet Schüller.
Ein Umdenken sieht er auch bei der Justiz: Habe sie jahrzehntelang bei sexuellem Missbrauch oder Veruntreuung von Kirchengeldern weggeschaut, sei die Bereitschaft gewachsen, auch Bischöfe vor Gericht zu zitieren und kirchliche Amtsstuben zu durchsuchen.
Dass das Verhältnis von Staat und Kirche auf neue Füße gestellt werden müsse, macht Schüller auch am – auch demografisch bedingten – Rückgang an Kirchenmitgliedern fest. Schon bald werde wegen wegbrechender Kirchensteuermittel ein interner Streit um Prioritäten des kirchlichen Engagements entbrennen. Es sei nicht ausgemacht, dass sich die Bistümer weiter im Bereich von Pflege, Kindergärten, Schulen und Krankenhäusern engagierten. Schon aus dieser fiskalischen Perspektive sei es nötig, dass Staat und Kirche ins Gespräch kämen, schreibt Schüller.
Das Ziel bleibt im Buch allerdings unscharf. Die im Untertitel angedeutete strikte Trennung von Staat und Kirche wird nicht näher beschrieben. Auf den Prüfstand stellen will der Autor allerdings den Status der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts und die damit verbundenen Privilegien. Den Freiraum der Kirchen beim Arbeits- und Tarifrecht, beim Vermögens-, Hochschul- und Strafrecht hält er in weiten Teilen für nicht mehr angemessen – außer im engen Binnenbereich des Glaubens und der Verkündigung. Bund, Ländern und Gemeinden rät er, zum Teil noch bestehende kirchliche Monostrukturen in der Trägerschaft von Kindergärten oder Krankenhäusern zu überprüfen und nach anderen Trägern zu suchen.