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Jüdisches Museum tourt durch Schulen – Ein Besuch in Krisenzeiten

Das Jüdische Museum Berlin besucht bundesweit regelmäßig Schulen. Ziel ist, mit Schülern ins Gespräch kommen über Religion, Kultur und Geschichte – in diesen Zeiten eine besondere Herausforderung. Ein Besuch.

Der Cheeseburger aus Plastik hat es den Mädchen angetan: Bayan, Rojin und Merve greifen gleichzeitig nach ihm, würden am liebsten gleich mal reinbeißen. Alicia schraubt mehrmals den Menora-Leuchter auseinander und setzt ihn wieder zusammen. Andere Mädchen platzieren die bunt bestickten Kippas – die traditionelle jüdische Kopfbedeckung – auf ihren langen Haaren.

Es ist ein grauer Novembermorgen in der neunten Klasse der Albrecht-Haushofer-Schule, einer Sekundarschule mit hohem Migrantenanteil im Norden Berlins. Das Jüdische Museum Berlin ist zu Gast mit seiner mobilen Ausstellung. Seit 2007 gibt es diese Möglichkeit. Die Einrichtung will damit möglichst viele Jugendlichen erreichen – und zwar bundesweit: “Jeder Schüler und jede Schülerin in Deutschland sollte mindestens einmal das Jüdische Museum Berlin besucht haben, bevor er oder sie die Schule beendet hat”, wünscht sich Museumsdirektorin Hetty Berg.

Es gibt seit Jahren zahlreiche solcher Aktivitäten seitens der jüdischen Gemeinschaft: “Meet a jew”, eine Initiative des Zentralrats der Juden etwa, bei der eine persönliche Begegnung mit einem Juden an Schulen oder andere Einrichtungen vermittelt wird. Oder “Meet2respect” – dabei besuchen jüdische und muslimische Religionsvertreter gemeinsam Berliner Schulen, um die Kinder und Jugendlichen füreinander zu sensibilisieren.

Elad Oren, ein junger Mann mit Brille, dunklem Haar, Wollpullover und Jeans, sitzt neben den Mädchen auf dem Boden und erklärt ihnen, dass der Burger mit Käse nach den jüdischen Speiseregeln nicht erlaubt sei, weil man Milchiges und Fleischiges nicht mischen dürfe. “Sind Juden vegan?”, fragt eines der Mädchen. – “Nein, sie essen nur kein Schweinefleisch. Das ist nicht koscher, nicht halal”, erklärt er. Dann setzt er hinzu: “Ich esse aber Cheeseburger und auch Schweinefleisch. Aber meine Mutter nicht. Juden können ganz unterschiedlich sein.”

Seit ein paar Monaten arbeitet der Israeli, der in Berlin Geschichtswissenschaft studiert, beim Jüdischen Museum. Es ist sein erster Tourbesuch. Und es sei Zufall, dass dieser ausgerechnet so kurz nach dem Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel stattfinde, sagt Elad. “Ich hatte Angst davor, hierher zu kommen”, gibt der 31-Jährige zu. In der Gruppe am vorhergehenden Tag etwa sei der Besuch des Museums von einigen Schülern “als Propaganda-Veranstaltung für Israel” aufgefasst worden. “Das war schon herausfordernd”, sagt Elad. Dennoch wirbt er für Verständnis: “Diese Jugendlichen wissen einfach nichts. Und sie kennen keine Juden.” Er sagt ihnen deshalb auch, dass sie ihn alles fragen können – schließlich sei er Jude.

Ihnen gehe es darum, Berührungsängste abzubauen, erklärt sein Kollege Johannes Schwarz, ein Mann von Mitte fünfzig, der seit Jahren für das Jüdische Museum Schulen besucht. “Oberlehrerhaft wollen wir nicht daherkommen.” Gleichwohl seien die Touren schwieriger geworden, berichtet er. Während sie in Berlin eher auf islamischen Antisemitismus treffen, begegnen sie in Brandenburger Schulen eher rechtsextremistischen Positionen. Neulich etwa wollten Schüler nicht auf dem Teppich mit ihnen zusammenrücken. “Sie wollten keine Nähe, hatten im wahrsten Sinn des Wortes Berührungsangst”, erzählt er. Ein anderes Mal, als er sagte, dass der Erfinder der berühmten Levis-Jeans Jude gewesen sei, habe ein Schüler gerufen: “Iih, ich habe eine jüdische Hose an.”

Die Schülerinnen und Schüler dieser Klasse sind zwischen 14 und 16 Jahren alt; die meisten haben migrantische Wurzeln, kommen aus der Türkei, Palästina, Bulgarien, Irak, Polen oder Venezuela. Manche sind bereits in Deutschland geboren, andere seit ein paar Jahren hier. Die deutsche Geschichte ist ihnen noch nicht sehr vertraut. Dass auf einem mitgebrachten Stolperstein, der in den Straßen an die Deportation von Juden in der NS-Zeit erinnert, ein deutscher Name steht, überrascht ein Mädchen. “War sie eine Deutsche?”, fragt sie erstaunt. Elad erklärt: “Nicht alle Juden sind Israelis. Judentum ist vor allem eine Religion.”

Die meisten Jugendlichen haben andere Assoziationen, als sie aufschreiben sollen, was ihnen beim Stichwort Jude oder Jüdischsein einfällt. “Krieg” steht da vier Mal, “Hitler”, “Angst” aber auch, im Bezug auf den aktuellen Krieg in Israel und dem Gazastreifen, “Rassismus gegen den Islam”. Der Nahostkonflikt und die derzeitige Lage habe “viel aufgewühlt”, sagt die Politiklehrerin, die die Stunde begleitet. Elad Oren weist darauf hin, dass Juden oft entweder als Täter oder als Opfer gesehen werden – “obwohl man persönlich keine Juden kennt”.

Es geht bei diesem Besuch vor allem um das Finden von Gemeinsamkeiten: Als Elad die Schöpfungsgeschichte aus der Bibel auf Hebräisch vorliest und die Schüler und Schülerinnen fragt, ob sie etwas verstanden haben, gucken sie erst ein bisschen ratlos. “‘Layla’ – Nacht, das habt ihr doch verstanden, oder? Was heißt denn Nacht auf Arabisch?” “Layl”, sagt Bayan, ein zierliches Mädchen mit Kopftuch erstaunt. Sie und andere Schülerinnen freuen sich: “Das ist ja total ähnlich.”

Elad hat deutsche Wurzeln: Seine Urgroßeltern sind 1933 vor den Nationalsozialisten aus Bochum nach Israel geflohen. Er selbst kam vor vier Jahren nach Berlin, als Erasmus-Student, und ist geblieben. Seit dem Angriff der Hamas auf Israel fühle er sich aber “weniger wohl” in Berlin – “obwohl ich auch vorher schon zum Beispiel auf der Sonnenallee in Neukölln darauf geachtet habe, nicht Hebräisch zu sprechen.” Kollege Johannes sagt: “Wir haben vermehrt Polizei vor dem Eingang des Museums. Da macht man sich schon Gedanken, ob man zur Zielscheibe wird, wenn man über die Straße geht.”

Bayan, die einen türkisch-arabischen Hintergrund hat, sagt am Ende der Stunde, dass ihr der Besuch des Museums gut gefallen habe. Was sie gelernt hat? “Dass die Sprache so ähnlich wie die arabische Sprache ist. Dass Juden bestimmte Sachen nicht essen dürfen und auch kein Schweinefleisch essen so wie wir.”

Und der Nahostkonflikt? Bayan sagt: “Die Israelis haben doch schon ein Land. Warum wollen sie noch eins?” Dann setzt sie nachdenklich hinzu: “Man sollte mit beiden Seiten Mitleid haben. Da sterben Kinder auf beiden Seiten.”