Artikel teilen:

In Deutschland fehlen hunderte Schwimmbäder

Übervolle Freibäder, Badeunfälle und Ruinen, die mal Hallenbäder waren. In Deutschland herrscht seit Jahren ein Mangel an Badeanstalten. Doch allmählich scheint ein Umdenken einzusetzen.

Eine Baustelle in einem Gewerbegebiet im Süden von Bonn. Zwischen zwei Supermärkten wächst eine Halle in die Höhe – kein Discounter, kein Getränkehandel. Martin Becker und Tom Ortmanns wollen hier ein Schwimmbad errichten. Das einzige Schwimmbecken ist knapp 17 mal 10 Meter groß und durchgehend 1,35 Meter tief. Dazu kommen Foyer, Duschen und Umkleiden, alles barrierefrei.

“Schwimmausbildung ohne Abstriche” versprechen die beiden Bauer des Einfach-Bades. Das aufs Wesentliche geplante und reduzierte Bad sei für Vereine und Schulen ebenso geeignet wie für Gesundheitssport und Aquafitness, erläutert Martin Becker. Er ist mit einer Schwimmschule an fünf NRW-Standorten aktiv, darunter sind zwei selbst gebaute Bäder.

Das Modell “Comfy”, das nun in Bonn entsteht, kostet 3,2 Millionen Euro. Festpreis, wie Wirtschaftsingenieur Tom Ortmanns betont. Bauzeit: drei Monate. Selbst gestecktes Ziel: 50 Hallen pro Jahr. Kann das funktionieren? “Allein in Nordrhein-Westfalen fehlen 600 Schwimmbäder”, sagt Ortmanns. Der Bedarf sei also da – “und wir sind durchschnittlich 40 Prozent günstiger als unsere Marktbegleiter”, verspricht der Unternehmer. “Es ist keine Rakete, die wir bauen. Es ist nur ein Schwimmbad.”

In Bonn sieht die Schwimmbadlandschaft derzeit so aus: Von sechs Freibädern sind zwei geschlossen. Von den ursprünglich fünf Hallenbädern wurde eines ganz aufgegeben, ein anderes lässt die Stadt gerade abreißen – “Neubau ist beauftragt” – und ein drittes hat kürzlich seine Pforten geschlossen “wegen Sanierung”.

Weil auch in einem vierten Bad eine Modernisierung ansteht, treibt die Kommune laut eigenen Angaben Pläne für ein Interimsbad voran. In einer aktuellen Mitteilung des städtischen Sport- und Bäderamtes heißt es dazu: “Die umfangreichen Ausschreibungsunterlagen für die europaweite Ausschreibung sind zwischenzeitlich erstellt worden. Das Ausschreibungsverfahren, welches ein Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb sein wird, soll in Kürze gestartet werden.”

Bürokratie und Sanierungsstau sind nur zwei Faktoren, die den Erhalt oder Neubau von kommunalen Schwimmbädern ausbremsen. Vielerorts steht den Städten finanziell das Wasser bis zum Hals. “Da Schwimmbäder lediglich freiwillige Aufgabe sind, fallen sie allzu oft dem Rotstift zum Opfer”, beklagt der Sprecher der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft DLRG, Martin Holzhause. Es fehle zudem seit langem an einer “Leitidee für den Erhalt und an einer bedarfsorientierten Entwicklung der Infrastruktur”.

Am Donnerstag stellt die DLRG zusammen mit 14 weiteren Verbänden der Bäderallianz Deutschland einen Plan vor, wie sich daran etwas ändern lässt. Ein erklärtes Ziel: “Dass im Jahr 2041 jeder Einwohner Deutschlands in einer Auto-Entfernung von höchstens 30 Minuten ein Hallenbad erreicht, das für Schwimmenlernen, Schul-, Vereins- und gesundheitsorientiertes Schwimmen geöffnet ist.” Die Zeit drängt. “Seit der Jahrtausendwende sind hunderte Schwimmbäder dauerhaft geschlossen worden und die Hälfte der bestehenden Anlagen, die im Durchschnitt 50 Jahre alt sind, sind mittlerweile sanierungsbedürftig”, sagt Holzhause.

Eine Folge: Immer weniger Menschen lernen schwimmen. Laut einer aktuellen YouGov-Umfrage für die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) schätzen 33 Prozent ihre Fähigkeiten als “nicht sehr gut” ein. Besonders hoch ist dieser Wert unter den Jüngeren: Hier können 39 Prozent nicht sehr gut schwimmen.

Unterdessen ächzen die noch offenen Schwimmbäder unter den verschiedenen Bedürfnissen von Schulen, Vereinssport und Freizeitschwimmern. Gerade im Sommer weichen viele Menschen auf Flüsse und Seen aus – auch dort, wo es zum Schwimmen zu gefährlich ist wie beispielsweise am Bonner Rheinufer. Immer wieder kommt es zu tödlichen Badeunfällen.

Viele Kommunen versuchen, gegen diesen Trend anzuschwimmen. Die 300.000-Einwohnerstadt Mannheim betreibt aktuell vier Hallenbäder und vier Freibäder. Steigende Energie- und Personalkosten seien ein großes Problem, sagt eine Sprecherin. Die Eintrittsgelder immer weiter zu erhöhen, möchte die Stadt vermeiden: Einkommensschwächere Bürgerinnen und Bürger sollen nicht ausgegrenzt werden. Schließlich gelten Schwimmbäder als soziale Treffpunkte – noch. Überdies wolle man gerade die Freibäder als “grüne Oasen in der Stadt und als kühle Orte an heißen Orten” erhalten, so die Sprecherin weiter.

Um die große Nachfrage – auch nach Schwimmkursen – abdecken zu können, plant Mannheim ein Großprojekt. Das Herzogenriedbad, ein Freibad, wird mit einem Hallenbad erweitert, um hier einen Großteil des schulischen Schwimmunterrichts anbieten zu können. Die Eröffnung ist für 2026 geplant.

Weiter südlich, in Freiburg, soll noch im laufenden Jahr am größten Hallenbad der Stadt ein 2003 stillgelegtes Außenbecken neu eröffnet werden. Elf Millionen Euro sind dazu nötig, von denen 3,5 Millionen Euro aus Fördermitteln des Bundes stammen. Die Wiedereröffnung ist allerdings nur möglich, weil sich ein Förderverein für das Projekt stark gemacht und mehr als 350.000 Euro Spenden eingeworben hat.

Vom ganz großen Wurf haben sie vor einigen Jahren auch in Bonn geträumt. Ein Bürgerentscheid stoppte 2018 den Neubau eines neuen Hallenbades mit zwei 25-Meter-Becken, mehreren Lehrschwimmbecken und einem eigenen Freizeitbereich. Auf rund 60 Millionen Euro wurden damals die notwendigen Investitionen beziffert. Dafür sollten kleinere Bäder in den Stadtteilen weichen.

“Wegen des ‘Eines für alle Zwecke’-Denkens bei den Bädern bezahlen Kommunen teilweise Bäder, die für den Freizeitsport und die Erholung überdimensioniert sind”, beobachtet DLRG-Sprecher Holzhause. “Andernorts wird allein auf Schulen und Vereine abgezielt und die Öffentlichkeit zu wenig beachtet.” Eine nachhaltige Bedarfsanalyse müsse deswegen die Grundlage jeder Bäderplanung sein.