“Hi, eigentlich ist es nicht so mein Ding zu schreiben. Mein Vater säuft jeden Tag und wird dann oft gemein. (…) Ohne Hilfe der Tafel hatten wir oft nichts zu essen. Ich darf darüber nicht reden, weil es keinen was angeht. Ich halte es so aber nicht aus.” Das schreibt ein 15-jähriger Junge in einer Mail an Berater des Projekts “Hilfen im Netz”, einer anonymen und kostenlosen Online-Beratung für Kinder und Jugendliche psychisch oder suchtkranker Eltern.
Eine 13-jährige hat ein Problem mit ihrer psychisch kranken Mutter: “Ich brauche eure Hilfe. Meine Mama ist nie da. Sie ist zuhause, aber ich kann nicht mit ihr reden. Immerzu liegt sie in ihrem Bett. Aber ich glaube, sie schläft gar nicht. (…) Immer wenn ich nachhause komme, ist es dunkel. Ich mache dann die Vorhänge auf. Sie sagt auch nix dagegen.”
Schulen als zentrale Anlaufstelle für Kinder
Kinder, deren Eltern psychisch krank sind oder eine Suchterkrankung haben, gibt es viele in Deutschland: Experten gehen von rund 3,8 Millionen aus, das beträfe jedes vierte Kind in Deutschland; durchschnittlich gibt es demnach Betroffene in jeder Schulklasse. Bundesfamilienministerin Karin Prien (CDU) hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, Kindern aus solchen Familien gezielter zu helfen und Angebote bekannter zu machen.
Wichtig sei vor allem, Lehrer fortzubilden und für das Thema stärker zu sensibilisieren, erklärte Prien am Donnerstag in Berlin bei einem Austausch über das Projekt “Hilfen im Netz”. Und weiter: “Wir müssen Kindern und Jugendlichen mehr Gelegenheit geben, solche Dinge anzusprechen.” Die Schule sei dafür ein sehr guter Weg. Lehrkräfte müssten so weitergebildet werden, dass sie betroffene Kinder identifizieren und ihnen die richtige Hilfe vermitteln könnten.
Vernetzung von Präventionsangeboten geplant
Weiter sprach sich die Ministerin für eine bessere Verzahnung zwischen Bund und Ländern mit Blick auf Präventionsangebote, Jugendhilfe und Eingliederungshilfe aus. Alles andere sei teuer und ineffizient, sagte sie. Es sei wichtig, “das, was wir an guten Angeboten haben, so miteinander zu vernetzen, dass möglichst viele Kinder und Jugendliche davon profitieren können”.
Der Bundesdrogenbeauftragte Hendrik Streeck (CDU) betonte, man müsse bei Kindern und Jugendlichen frühzeitig ansetzen, da Kinder aus süchtigen oder psychisch kranken Familien in ihrer Zukunft besonders gefährdet seien. Studien zufolge entwickeln zwischen 41 und 77 Prozent dieser Kinder selbst psychische Störungen oder eine eigene Abhängigkeitserkrankung im Laufe ihres Lebens.
Das Projekt “Hilfen im Netz” wird seit 2023 vom Bundesfamilienministerium gefördert und läuft bis Juni 2026. Prien stellte eine Prüfung der Fortführung des Projekts über diesen Zeitraum hinaus in Aussicht. Getragen wird es von Nacoa Deutschland und Kidkit, der Drogenhilfe Köln.
Suchterkrankung: Beratung verhindert psychische Folgeschäden
Der Bedarf ist offenbar da: Eine Kampagne, die im Sommer anlief, mit Social-Media-Posts und Anschreiben an weiterführende Schulen, führte im Juli etwa “zu einem Plus von 247 Prozent” im Vergleich zum Durchschnitt der vorhergehenden Monate, wie es hieß. Unter anderem wurde deutschlandweit in 13 Städten auf insgesamt rund 4.000 Flächen für die Online-Beratung geworben. Insgesamt gab es demnach bei “Hilfen im Netz” zwischen Juli 2023 und Juni 2025 rund 3.500 Anfragen zur Mailberatung.
Ziel sei auch die Entstigmatisierung, sagte Projektleiterin und Sozialpädagogin Anna Buning. Die Scham, darüber zu sprechen, was zu Hause passiert, sei bei vielen Kindern und Jugendlichen sehr groß. Ein frühzeitiger Kontakt zum Hilfesystem könne die Entstehung eigener psychischer Erkrankungen oft verhindern. Mittels digitaler Medien sei ein “Erstzugang dabei nachweislich erleichtert”. Ein weiterer Vorteil sei, dass auch Kinder im ländlichen Raum dadurch gut erreichbar seien.
“Bei vielen, die sich an uns wenden, ist zunächst die Gewalt in der Familie das Erstthema”, berichtete Buning: “Das finden die Kinder am schlimmsten und sagen es deshalb zuerst. Hinterher stellt sich heraus, dass eine Suchterkrankung oder eine psychische Erkrankung der Eltern dahintersteckt.”
Suchterkrankung: Wann ärztliche Hilfe oder Jugendhilfe sinnvoll ist
Die Beratung von “Hilfen im Netz” sei sehr individuell: Manchmal sei es leicht, eine weiterführende Hilfe wie etwa einen Arztbesuch zu vermitteln, manchmal dauere es lange, bis jemand bereit sei, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Berater versuchten aber immer, die Fälle aus der Anonymität herauszuholen, um gezielter helfen zu können – und zum Beispiel die Jugendhilfe einzuschalten, damit betroffene Kinder notfalls aus einer Familie geholt werden können. Dies sei Abwägungssache, so die Expertin: Maßgeblich sei immer das Kindeswohl.
