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“Ich habe den Weg vom Staatsfeind zum Ehrenbürger gemacht”

Seit Jahrzehnten berichtet der Holocaust-Überlebende Ernst Grube an Schulen und in Bildungseinrichtungen über seine Kindheit als Sohn einer Jüdin in der NS-Zeit, über Verfolgung, Schikane, Ausgrenzung, später Deportation und zuletzt Befreiung aus dem KZ Theresienstadt.

Seit Jahrzehnten berichtet der Holocaust-Überlebende Ernst Grube an Schulen und in Bildungseinrichtungen über seine Kindheit als Sohn einer Jüdin in der NS-Zeit, über Verfolgung, Schikane, Ausgrenzung, später Deportation und zuletzt Befreiung aus dem KZ Theresienstadt. Worüber der 90-Jährige seltener spricht, ist seine Verfolgung als Kommunist im Nachkriegsdeutschland. „Das kam bislang immer zu kurz“, sagt Grube im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Das ändert sich nun mit einem Comic-Projekt, das das NS-Dokumentationszentrum München bei der Berliner Zeichnerin Hannah Brinkmann in Auftrag gegeben hat. Explizit behandelt ihre Graphic Novel, die 2024 erscheinen soll, die Zeit von 1952 bis 1959, in der Grube zweimal wegen seiner Arbeit in der verbotenen Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) verhaftet und zu Gefängnisstrafen verurteilt wurde.

Besonders getroffen hat Grube nach eigenen Worten die Untersuchungshaft vor seinem zweiten Prozess 1959, als er wegen einer Flugblatt-Aktion für die KPD angeklagt war. Neun Monate verbrachte der damals 26-jährige KZ-Überlebende in einem Bonner Gefängnis, vier davon in strenger Isolationshaft, wie er sich erinnert: „Das war ein Gefängnis übelster Art, der Raum war vielleicht einen Meter breit, niemand durfte mit mir reden.“

Diese Härte habe ihn, den das Alleinsein und Ausgeschlossen-Werden schon als jüdisches Kind jahrelang begleitet habe, zermürbt. Dass er trotz dieser Erfahrungen in Westdeutschland geblieben sei, begründet er mit seiner Überzeugung als Marxist: „Man muss die Verhältnisse dort ändern, wo man lebt – und das war München, nicht die DDR oder Frankreich.“

Seinen Kampf für Solidarität und Gerechtigkeit hat der gebürtige Münchner, der heute in Regensburg lebt, nie aufgegeben: Nicht, als die Behörden ihm in den 1970er Jahren ein Berufsverbot als Berufsschullehrer erteilten, und nicht, als der bayerische Verfassungsschutz ihn als Sprecher der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ bis ins Jahr 2021 unter Beobachtung stellte. Noch 2011 wurde er namentlich als Linksextremist im Verfassungsschutzbericht erwähnt. Erst nach Protesten zahlreicher Unterstützer aus Politik und Gesellschaft nahm die Behörde den Eintrag zurück.

Grube ist Präsident der Dachauer Lagergemeinschaft, Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, Mitglied im Kuratorium der evangelischen Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau und Münchner Ehrenbürger. Für seine Erinnerungsarbeit wurde er vielfach ausgezeichnet.

Als jüngste Ehrung folgte am 22. September 2023 das Verdienstkreuz am Bande des Bundesverdienstordens. „Ich habe den Weg vom Staatsfeind zum Ehrenbürger Deutschlands gemacht – das ist kaum zu fassen“, sagt Grube verschmitzt. Wie viel ihm diese Anerkennung bedeutet, lässt sich beim Blick in sein Gesicht ermessen. Gelöst, fast glücklich sieht er aus, als er sagt: „Ich werde geachtet. Ich erlebe unerwartete Zustimmung. Es gibt so viele Menschen, denen ich begegnen kann – was will man mehr?“ (00/3090/22.09.2023)