Gregor von Kursell arbeitet in der Unternehmenskommunikation in München und ist seit Jahren auch als Hobby-Weihnachtsforscher unterwegs. Seit 2019 schreibt er in Tageszeitungen seine Weihnachtskolumnen, im vergangenen Jahr hat er auch ein Buch dazu verfasst („Ein Fest mit vielen Gesichtern. Weihnachten ist, was wir daraus machen“). Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst erzählt von Kursell über alte und neue Trends und was er von Adventsbäumen oder skandinavischen Weihnachtswichteln hält.
epd: Adventsbaum oder Weihnachtsbaum: Gefühlt stellen immer mehr Menschen ihre Tanne schon zu Beginn der Adventszeit auf.
Kursell: Ja, das merke ich auch in meinem Umfeld. Laut einer aktuellen Umfrage stellen 35 Prozent der Deutschen den Baum schon Anfang Dezember auf, 24 Prozent Mitte Dezember. Ich persönlich warte damit bis kurz vor Weihnachten. Manche wundern sich zwar, warum ich zum ersten Advent noch keinen Baum habe, weil Weihnachten für mich doch so eine große Rolle spielt. Aber wenn schon alles Ende November passiert, was bleibt dann für die Advents- und Weihnachtszeit?
epd: Ist das ein neuer Trend, die Weihnachtszeit vorzuverlegen?
Kursell: Das ist nicht neu. Die früheste Quelle, die ich dazu gefunden habe, ist ein Zeitungsausschnitt von 1881 aus den USA. Seitdem geht es immer weiter in den Herbst hinein. Es ist wohl ein menschliches Bedürfnis, sich jeden Zeitabschnitt verschönern. Gerade der November, der ja eher kalt und ungemütlich ist, schreit nach Wärme und Gemütlichkeit. Und lange gab es da auch nichts. Für mich gehören die leere Zeit im kahlen Monat November und ein Advent als eher ruhige Vorbereitungszeit dazu. Aber ich will ja niemandem Vorschriften machen.
epd: Künstlicher Baum oder echter Baum: Wer seine Tanne oder Fichte früh aufstellt, hat an Heiligabend nur noch vertrocknete Zweige. Geht der Trend zum künstlichen Baum?
Kursell: Die künstlichen Bäume sehen immer mehr wie echte Bäume aus. Auch wenn man sie schon Ende November aufstellt, halten sie trotzdem bis Ostern. Ob man das braucht, sei dahingestellt. Viele kaufen auch einen künstlichen Baum aus Nachhaltigkeitsgründen. Ein Christbaum wird gefällt, steht wenige Tage geschmückt in der Wohnung und wird dann wieder entsorgt. Das wollen viele vermeiden.
epd: Und was ist nun nachhaltiger?
Kursell: Es gibt Untersuchungen zum CO2-Fußabdruck natürlicher und künstlicher Bäume. Aufgrund des Produktionsprozesses und der Transportwege schneidet der künstliche Baum schlechter ab. Erst wenn man ihn mindestens zwölf Jahre lag verwendet, wird er umweltfreundlich im Vergleich zu den echten Bäumen, die jedes Jahr wieder neu beschafft werden. Auch der Baum im Topf ist nur dann eine Lösung, wenn er wirklich im Topf großgezogen wurde. Ein Baum, der im Herbst ausgebuddelt und in einen Topf gesetzt wird, überlebt nicht lange. Umweltverbände empfehlen einheimische Nadelbaumsorten mit Ökosiegel. Man kann übrigens auch sehr schöne Bäume selbst basteln, im Internet gibt es dazu jede Menge Anregungen.
epd: Weihnachtswichtel oder Adventskalender: Bei Kindern werden die aus Dänemark stammenden Wichtel immer beliebter. Sie ziehen ab 1. Dezember bei einem Zuhause ein, lassen über Nacht Geschenke da oder treiben Schabernack. Sind Sie mit diesem Countdown-Charakter bis zum 24. Dezember Konkurrenz für den Adventskalender?
Kursell: Die Tradition, die Tage bis zu Bescherung zu zählen, ist im 19. Jahrhundert mit dem bürgerlichen Weihnachtsfest entstanden. Das stellte Kinder in den Mittelpunkt. Anfangs waren es Kreidestriche oder selbst gemalte Bilder, mit denen Kindern die Zeit verkürzt wurde. Im 20. Jahrhundert entstanden dann die Türchenkalender mit Bildern. Seit dem späten 20. Jahrhundert läuft der Schokoladenkalender dem klassischen Bildkalender immer mehr den Rang ab. Sehr pädagogisch und zugleich ziemlich karg war das Krippenfüllen: Die Kinder durften jeden Tag einen Strohhalm in eine Krippe legen, aber nur wenn sie eine gute Tat getan oder ein Gebet gesprochen hatten. Mit ihrem vorbildlichen Verhalten bereiteten sie dem Christkind ein weiches Bett, das war die Botschaft. Ich glaube nicht, dass das vielen Kindern heute noch gefallen würde.
Die Wichteltür hingegen ist eine sehr kreative Idee, da tut sich was. Aber sie fordert die Eltern auch. Jeden Tag muss man sich einen neuen Spaß einfallen lassen. Das funktioniert auch nur in einem bestimmten Alter. Dann werden wieder die Kalender mit Spielzeug beliebter. Man kann aber auch Säckchen oder Schachteln selbst befüllen, das ist eine viel persönlichere Variante. Inzwischen gibt es ja auch Adventskalender für Erwachsene mit allem, was sich in eine Pappschachtel stecken lässt, Bier, Schnaps, Sextoys oder Badesalz.
epd: Ihr Favorit?
Kursell: Ich persönlich mag die Adventskalender, bei denen sich das Bild mit jedem geöffneten Türchen verändert und immer weihnachtlicher wird.
epd: Stille Nacht oder Last Christmas: Haben traditionelle Weihnachtslieder ausgedient?
Kursell: Wenn man den Umfragen glaubt, haben die alten Lieder noch nicht ausgedient, auch wenn X-Mas-Pop ein Riesengeschäft ist und einen festen Platz in der Weihnachtszeit hat. Wer selbst singt – und das Bedürfnis haben viele – kommt an den Klassikern wie „O Tannenbaum“ und „Stille Nacht“ nicht vorbei. Die lassen sich nämlich viel einfacher singen als ein nur scheinbar simpler Popsong. Die Komponisten und Texter des 19. Jahrhunderts haben bewusst Lieder geschaffen, die auch musikalisch nicht vorgebildete Menschen singen können. Es gibt ja nicht ohne Grund neue Formen des gemeinsamen Singens, zum Beispiel die Adventsfenster oder das gemeinsame Singen im Fußballstadion. Außerdem verbinden uns die alten Lieder mit der Kindheit, was ja gerade an Weihnachten sehr wichtig ist.
epd: Familienfeier oder Kneipe: Wie wichtig ist noch der Familiencharakter von Weihnachten? Kann diese heile-Welt-Erwartung nicht auch erdrückend sein?
Kursell: In anderen Ländern ist es wesentlich verbreiteter als bei uns, Weihnachten im Pub oder im Café zu verbringen. In Deutschland ist das Familienfest noch der Normalfall. Zum Glück gibt es inzwischen auch hierzulande Angebote für Menschen, die keinen Anschluss haben oder nicht mit der Familie feiern wollen. In einem bestimmten Alter kann die familiäre Feier eine echte Belastung sein. Wenn die Tradition zum Zwang wird, dann ist die Weihnachtsfreude beim Teufel. Und das will ja nicht einmal der Grinch.
epd: Festtagskleidung oder hässliche Weihnachtspullis: Was zieht man an Heiligabend an?
Kursell: Die Tradition der Ugly Christmas Sweaters geht wohl auf englische Moderatoren zurück, die in den 1980er-Jahren aus Spaß in ihren Shows in hässlichen Pullis aufgetreten sind. In England hat das Verkleiden an Weihnachten eine alte Tradition. Im Film „Bridget Jones“ (2001) hat der hässliche Pulli dann ein Revival erlebt, als Colin Firth als Marc Darcy einen Rentier-Pullover anhatte. Das war die Initialzündung für einen weltweiten Trend. Abgesehen von diesem Sonderfall zieht man sich heute an Weihnachten zwar etwas Schickes an, aber ganz so formell wie früher ist es längst nicht mehr. In allen Bereichen ist die Kleiderordnung heute legerer geworden.
epd: Geburtstag von Jesus oder hyggeliges Winterfest: Welchen Sinn hat Weihnachten heute?
Kursell: Die meisten Menschen würden wohl der Aussage zustimmen, dass Weihnachten mehr sein soll als eine Konsumveranstaltung. Zugleich zeigen alle Umfragen, dass die Anzahl gläubiger Christen in unserer Gesellschaft abnimmt. Nur noch wenige Menschen glauben, dass Gott seinen Sohn auf die Welt geschickt hat, um die Menschen von Sünde und Tod zu erlösen. Dennoch erwarten die meisten an Weihnachten etwas Spirituelles: ein Fest der Liebe, der Familie und der Hoffnung. Auch wenn diese Vorstellungen nicht christlich gemeint sind, so widersprechen sie christlichen Werten nicht. Nur aufwändig das eigene Heim zu dekorieren, kann uns auf Dauer nicht erfüllen. Auch wenn Influencer uns weismachen wollen, genau das sei der Sinn der Weihnachtszeit. (3905/12.12.2025)